Ruf der Daemmerung
gewesen sei, mit diesem Problem umzugehen. Aber sie konnte ihren Sohn verstehen und würde ihn sicher nicht zwingen, nach Irland zurückzugehen ...
Zu Violas Erleichterung schluckte das Sekretariat der Roundwood High diese Abmeldung ebenso bereitwillig wie vor einigen Monaten das plötzliche Auftauchen des dänischen Austauschschülers. Mike und Hank, die Margarete namentlich nannte, bekamen natürlich Ärger, atmeten aber trotz der empfindlichen Strafen eher auf, als sie von Alis Verbleib erfuhren. Widerspruchslos nahmen sie ihren Ausschluss aus der Hurlingmannschaft und einen mehrtägigen Schulverweis auf sich. Für die Roundwood High war das Kapitel Ali damit abgeschlossen.
Am Lough Dan zog langsam der Frühling ein. Es grünte und blühte in den Bergen und in den Gärten, und ein fast unwirklich blauer Himmel mit Schäfchenwolken spiegelte sich im See. Viola musste nun langsam ihre Rückkehr nach Deutschland planen, aber ihr fehlte die Energie, irgendetwas zu entscheiden. Stattdessen hangelte sie sich von einem Schultag zum anderen, überhörte Ainnés sämtliche Vielleichts und nahm ihre langen Spaziergänge mit Guinness wieder auf. Ahi oder sein beagnama sah sie dabei nie, aber andere Kelpies ließen sich fast täglich blicken. Zweifellos stand eine Jagd an, es war lange her, dass die beiden Gäste von Bayview House den Amhralough zum Opfer gefallen waren. Allerdings hatte die Tourismus-Saison noch nicht wirklich begonnen. Fremde Beute würde den Kelpies also kaum ins Netz gehen.
Dafür sprach Bill immer öfter davon, die wilden Ponys jetzt endlich zu fangen. »Die Biester fressen unseren Pferden das Gras weg!«, behauptete er, obwohl die Kelpies natürlich nie in eingezäunte Koppeln eindrangen. »Und außerdem ist es zu schade, das sind ja zum Teil bildschöne Tiere ... Du kannst sie einreiten, Shawna, dann bringen sie einen guten Preis auf dem Pferdemarkt.«
Shawna biss sich dabei auf die Lippen. Viola wusste, dass auch sie die Kelpies beobachtete, aber ganz sicher hatte sie nicht vor, sie einzufangen und zu zähmen. Zumindest nicht für den Pferdemarkt in Dublin. Shawna träumte von einem eigenen Fohlen, das sie gern selbst eingeritten hätte. Aber für einen schnellen Profit unter Händlern würde sie kein Herzblut einsetzen.
»Erst mal fangen, Dad, dann sehen wir weiter ...«, erklärte dagegen Ainné. Sie war durchaus für die Sache zu haben, als Mädchen hatte sie wohl viele wilde Ponys für Bill gezähmt. »Wie denkst du dir das denn? Ohne Extra-Einzäunung wird es kaum gehen, den E-Zaun reißen dir die Wildlinge ab, wenn sie in Panik geraten.«
Bill nickte. Wie sich herausstellte, hatte er dazu bereits genaue Vorstellungen. »Ein paar Helfer werden wir brauchen. Und Holz für einen Corral. Sehr stabil muss es nicht sein, nur hoch genug, dass die Biester nicht springen. Wir können die Planken von der alten Holzhütte am Bootshaus nehmen, die wir letztes Jahr abgerissen haben. Und als Helfer dachte ich an Patrick. Der wird bestimmt gern mal ein Wochenende kommen. Schon, um sein Mädchen zu sehen ...«
Shawna wurde sofort glühend rot. Tatsächlich hatte sich die Beziehung zwischen ihr und Patrick in den letzten Wochen weiter intensiviert. Der Tierarzt in Roundwood hatte ihr in den Osterferien ein Praktikum bei einem Kollegen in Dublin vermittelt und sie war in Patricks Studentenwohnheim untergekommen. Die beiden hatten viel zusammen unternommen, und endlich schien es auch bei Patrick gefunkt zu haben. Zweifellos dadurch unterstützt, dass Shawna sich in Dublin nicht so ausnutzen ließ. Jetzt allerdings mischte Ainné wieder mit und holte in bewährter Manier alles aus Shawna heraus, was herauszuholen war.
Viola berichtete Katja davon, die sofort eine Meinung zurückmailte. »Ihr seid da unten alle masochistisch veranlagt! Erst lässt du dich aussaugen und jetzt leckt Shawna Ainné die Füße. Sag ihr, sie soll mit der ganzen Angelegenheit Schluss machen. Es sind nicht ihre Pferde, das muss sie sich mal klarmachen. Und manchmal geht es einfach nicht ohne einen deutlichen Bruch.«
Viola seufzte, als sie das las. Inzwischen hatte sie Katja vergeben. Sie wusste schließlich selbst, dass es ihr ohne Ahi im Grunde besser ging. Sie hatte wieder zugenommen, entwickelte erste Sonnenbräune, und ein paar Jungs aus den oberen Klassen hatten begonnen, ihr hinterherzuschauen. Zweifellos waren sie durch ihre Freundschaft mit dem Hurlingstar auf sie aufmerksam geworden, aber jetzt schienen sie sich
Weitere Kostenlose Bücher