Ruf der Daemmerung
»Was soll ich denn hier unten machen?«, erkundigte sie sich. »Mit Bill den Musikantenstadl angucken? Oder würde Ainné gern Scrabble spielen?«
Bills Fernsehgeschmack war ein ständiger Konfliktpunkt innerhalb der Familie, den allerdings selten jemand anzusprechen wagte.
»Wir bräuchten ein zweites Wohnzimmer ...«, murmelte ihr Vater jetzt. »Aber ansonsten ... du ... wir beide ... also eigentlich machen wir nie etwas zusammen ...«
Viola zuckte die Schultern. »Wir waren letzte Woche in Glendalough«, erinnerte sie ihn. »Soweit ich weiß, die einzige Sehenswürdigkeit im weiten Umkreis. Aber wenn du Zeit hättest - also ich würde ganz gern mal nach Dublin fahren.«
Ein Stadtbummel hätte ihr sogar deutlich mehr Spaß gemacht als die Besichtigung der uralten Klosterruinen, aber sie war nicht wählerisch. Ausflüge mit ihrem Dad gelangen eigentlich immer, er hatte sogar der Wirkungsstätte des heiligen Kevin unterhaltsame Aspekte abgewonnen. In einem der dortigen Seen sollte ein Monster hausen und Dad hatte nichts unversucht gelassen, es herauszulocken und zum Lough Dan zu überführen.
»Der einzige Campingplatz mit eigenem Ungeheuer«, witzelte er. »Die Leute würden uns die Bude einrennen ...«
Vorerst hatten nur die anderen Besucher der Ruine ziemlich komisch geguckt, aber das hatte Viola nicht gestört. Und Ainné hatte ausnahmsweise keine Gelegenheit gehabt, ungnädige Blicke um sich zu werfen. Sie war zu Hause geblieben und hatte sich in Papierkram vertieft.
»Ach, Schatz, du weißt, dass ich hier nicht so oft wegkann. Aber morgen ... also ich dachte ... ich dachte, wir helfen Bill vielleicht beide ein bisschen beim Zaunbau. Er will etwas Grasland am See einzäunen. Und das wäre doch lustig ...« Ihr Vater verstummte entmutigt, als er Violas Gesichtsausdruck sah.
»Lustig?«, fragte sie mit gerunzelter Stirn. »Komm Dad, veralbern kann ich mich selber. Tatsächlich ist es doch so, dass deine Ainné dich zum Hämmern und Nageln verdonnert hat, oder? Und jetzt suchst du Unterstützung, damit morgen Abend vielleicht ...« - sie zog das Wort betont in die Länge - »... nicht alle deine Finger platt sind.«
Ihr Dad kaute auf seiner Lippe herum. Wenn er das tat, sah er immer ein bisschen aus wie ein kleiner Junge, den man beim Mogeln ertappt hat. »Ainné findet, du hilfst ein bisschen wenig im Haushalt«, meinte er dann. »Sie meint das nicht böse, weißt du ... aber sie ist etwas gestresst ... das Baby ...«
»Das Baby hätte sie auch im Bauch gehabt, wenn ich nicht hergekommen wäre«, bemerkte Viola. »Vorausgesetzt Mineralstoffmangel verursacht keine Fehlgeburten. Ist dir nicht aufgefallen, dass die Speisen in diesem Haus neuerdings gesalzen sind? Doch? Dann rat mal, wer sie meistens kocht! Schon aus einem gewissen Selbsterhaltungstrieb heraus, Ainnés Zeug ist ja ungenießbar ...«
Ihr Dad wollte etwas einwerfen, aber Viola war jetzt in Fahrt. »Und das Mädchen, das jeden Tag im Laden steht, ist auch kein von Ainné erweckter Flaschengeist - das bin wieder ich. Worüber ich nicht meckern will, der Shop macht mir Spaß. Aber Pferde kann ich nun mal nicht ausstehen und den lieben Bill auch nicht, wenn du's genau wissen willst. Außerdem gibt es ab morgen Schulaufgaben ...«
Dad sah aus wie ein kleiner Junge, der eben eine Ohrfeige kassiert hatte. Und genau wusste, wofür er sie sich eingefangen hatte ...
»Komm, Prinzessin ... ein paar Stunden ... nur damit Ainné zufrieden ist ... Zu dritt sind wir in null Komma nix fertig. Und ...« Er suchte erkennbar nach einem Anreiz und dann ging ein Leuchten über sein Gesicht. »Ich fahr dich dafür auch nach Dublin! Nächste Woche. Ainné wollte sowieso zum Ultraschall - in der Klinik da haben sie angeblich so ein neumodisches Gerät, das die Babys dreidimensional abbildet ... Jedenfalls würden wir dich mitnehmen und du könntest in Ruhe ein bisschen shoppen ...«
Viola wusste nicht recht, ob sie wirklich mit Ainné nach Dublin fahren wollte, aber ihr Dad hatte es jetzt geschafft: Er tat ihr leid und damit war sie weichgeklopft. Auch wenn sich der Zaun selbst zu dritt garantiert nicht in »null Komma nix« würde aufstellen lassen.
»Ach, dann komme ich eben auch«, tröstete die freundliche Shawna, als Viola am nächsten Morgen im Bus über ihre eigene Gutmütigkeit schimpfte. Es regnete - leicht, aber beständig, und selbst wenn es am Nachmittag aufhören sollte, würden sie im hohen, nassen Gras arbeiten müssen. Durchweichte
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