Ruf der Daemmerung
unbezahlte Schinderei. Und nun sollte es also Dad machen. Viola wartete gespannt auf seine Ausrede.
»Ainné, meine Liebe, du weißt, ich tue alles für dich ... aber diese Hämmerei liegt mir einfach nicht. Und ... ich wäre auch so weit weg vom Haus ... Was ist, wenn dir was passiert und ...«
»Es gibt Mobiltelefone, Alan«, meinte Ainné kalt.
»Aber da unten ist bestimmt ein Funkloch ...«
Viola kicherte in sich hinein. Tatsächlich gab es hier weit und breit kein Funkloch, ihr eigenes Handy hatte auf dem gesamten Gebiet des Campingplatzes und weit darüber hinaus Empfang.
»Ich bin jedenfalls lieber in deiner Nähe ...«, endete ihr Dad etwas lahm. »Aber vielleicht kann ja Viola ...«
Viola biss die Zähne zusammen. Das war Verrat! Dad wusste genau, dass sie nicht die geringste Lust hatte, sich bei Bill nützlich zu machen.
»Über Viola wollte ich sowieso mit dir reden!«, erklärte Ainné böse. »Sie drückt sich um jede Arbeit. Ich dachte, sie geht mir ein bisschen zur Hand, aber sie macht nur das Nötigste. Dabei ist dies ein Familienbetrieb, sie kann sich da nicht einfach raushalten! Am besten sagst du ihr klipp und klar, dass sie Bill am Wochenende zu helfen hat - oder sie kann den Computer vergessen. Ich sehe sowieso nicht ein, warum sie einen eigenen Internetzugang braucht ...«
Viola platzte fast vor Wut, registrierte dabei aber immer noch, dass Ainné bei ihrem ganzen Ausbruch kein einziges Mal das Wort Vielleicht gebraucht hatte. Mit ihrem Mann sprang sie anders um als mit Viola und Patrick. Hier bemühte sie sich nicht mal mehr um einen Anflug von Diplomatie.
»Aber ... aber sie braucht den Rechner ... schon für die Schule ...« Alan druckste herum.
Viola war alarmiert. Wenn das so weiterging, würde Ainné ihn womöglich noch überzeugen! Am besten kam sie jetzt mal mit viel Getöse nach Hause ...
Viola schlich zurück zur Haustür, öffnete sie leise und warf sie dann mit lautem Knall wieder zu. »Hallo, Daddy, Ainné ... Jemand da?«
Alan und Ainné schwiegen wie ertappt, als sie betont fröhlich ins Wohnzimmer tänzelte.
»Hallo, Prinzessin!«, grüßte ihr Dad und klang fast erleichtert. »Na, wie war's in der Schule.«
»Gut!«, antwortete Viola. »Aber anstrengend. Die sind hier viel weiter als wir, Dad, ich muss wahnsinnig viel nacharbeiten.« Dabei warf sie Ainné einen Blick zu, der sanft wirken sollte, aber eher kriegerisch geriet. »Ohne das Internet ginge das gar nicht. Aber ich hab jetzt endlich die Teile. Hilfst du mir, den Laptop anzuschließen?«
Triumphierend stieg sie die Treppe hinauf, gefolgt von ihrem etwas kleinlauten Vater und dem vergnügten Guinness.
Eine halbe Stunde später verfasste sie endlich die erste längere Mail an Katja.
»Vielleicht sollte ich Ainné ja mehr als Aufgabe sehen«, schrieb sie nach längeren Schilderungen der neuen Frau ihres Vaters. »Wie im Computerspiel - fragt sich nur, ob man ›Strategisch geschickter Umgang mit der bösen Stiefmutter‹ unter Real Live oder Fantasy ansiedelt.«
Katja schrieb sofort zurück: »Kommt drauf an, was du mit ihr vorhast. Fantasy bietet auf jeden Fall die schöneren Tötungsmethoden. Aber vielleicht reicht es auch, sie ... na, zum Beispiel in einen Turnschuh zu verwandeln! ;-)«
Viola kicherte. Es war gut, Katja wiederzuhaben. Shawna wäre eine solche Entgegnung nie eingefallen.
»Und sonst? Läuft bei euch nichts in Sachen Jungs?«
Viola überlegte, ob sie Katja Patrick schildern sollte. Die Jungs in der Schule waren jedenfalls nicht der Rede wert. Aber jetzt kratzte Guinness doch nachdrücklich an ihrem Hosenbein. Sie beschloss, den Chat aufzuschieben. Dieser Hund wusste, was er wollte, und so ungern sie es zugab: Der Spaziergang am Lough Dan lockte sie mehr als die Tiefen des World Wide Web ...
Als Viola später zurückkam, wartete ihr Vater bereits auf sie.
»Prinzessin?« An seinem unterwürfigen Tonfall hörte sie, dass irgendetwas im Busch war. Seine Stimme klang verhalten und fast etwas schuldbewusst. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie diese Nuancen früher nie in seiner Stimme gehört hatte. Neuerdings dafür umso häufiger - vor allem, wenn Alan mit Ainné sprach.
»Vio, Süße, gehst du schon rauf?«
Viola verdrehte die Augen. Ihr Vater hatte sie auf der Treppe zu ihrem Schlafzimmer abgepasst. Wohin sonst hätte sie da gehen sollen?
»Du bist abends immer so früh weg ...« Das sollte wohl vorwurfsvoll klingen, kam aber sehr halbherzig rüber.
Viola reagierte gereizt.
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