Ruf der Daemmerung
Turnschuhe waren vorprogrammiert - es sei denn, Viola gab ihre Grundsätze in Sachen unförmige Treter auf und nutzte die Mittagspause, um sich irgendwo Gummistiefel zuzulegen.
»Und Patrick hilft sicher auch mit. Wenn's regnet, gibt's schließlich keine Wespen. Zu fünft geht es ganz schnell, wirst sehen!« Shawna lächelte ihr aufmunternd zu.
Dann begann sie wieder, über Pferde zu reden. Viola schaltete ab und überlegte, was sie Katja nachher mailen würde. Sie hatte der Freundin gestern Abend noch ihr Leid geklagt und Katja hatte sich über den Gedanken an Vio als Rancharbeiter gar nicht mehr eingekriegt.
»Pass auf, demnächst verbringst du deine Tage damit, die Grenzen der Ranch abzureiten und dich mit Viehdieben zu kloppen!«
Viola hatte das gar nicht lustig gefunden und den Chat entnervt beendet.
Als es mittags immer noch Bindfäden regnete, resignierte sie und erstand in Roundwoods einzigem Schuhladen witzige schwarze Gummistiefel mit bunten Punkten darauf. Sie sahen gar nicht mal so schlecht aus, aber Shawna bezweifelte, dass sie lange hielten.
Immerhin hatte der Himmel ein Einsehen. Während Viola zu ergründen versuchte, weshalb manche Leute fanden, Salingers Roman Der Fänger im Roggen habe ihr Leben verändert, hörte es auf zu regnen. Shawna, die längst abgeschaltet hatte, weil ihr zu Roggen sowieso nur Pferdefutter einfiel, deutete strahlend auf den fast schon wieder blauen Himmel.
»In Irland dauert schlechtes Wetter nie sehr lange!«, erklärte sie fröhlich, als die Mädchen schließlich wieder im Bus saßen. »Pass auf, nachher wird es noch richtig schön!«
Es war tatsächlich sonnig und ziemlich warm, als die fünf Zaunbauer sich später am See trafen. Richtig gute Laune zeigte dabei allerdings nur Guinness, der schwanzwedelnd um die Gruppe herumstromerte. Bill war grantig, weil der Regen ihm am Morgen das Geschäft verdorben hatte. Er hätte zwei Pferde vermieten können, aber die Kunden hatten wegen des Wetters abgesagt. Patrick behauptete, überall Wespen zu sehen, und stritt sich mit Shawna, der er vorwarf, dass sie sich doch wieder hatte breitschlagen lassen, umsonst für Bill zu schuften. Violas Dad schleppte sein Handy mit sich herum und schaute alle zwei Minuten nach, ob Ainné angerufen hatte - aber inzwischen wusste Viola längst, dass Ainnés Schwangerschaft nie Probleme bereitete, wenn ihr Dad eine in Ainnés Augen wichtige Aufgabe erledigte. Sie fühlte sich lediglich dann schlecht, wenn er doch mal über einen Besuch im Pub nachdachte oder einen Ausflug mit Viola plante. Selbst der Kurztrip nach Glendalough hatte logistische Höchstleistungen erfordert und schon das anschließende Teetrinken war durch einen dringenden Anruf abgekürzt worden.
Lediglich Shawna tat zumindest, als ob ihr die Arbeit Spaß machte, und sie bewies auch beträchtliches Geschick dafür, Löcher mit einer Handbohrmaschine auszuheben und Pfähle einzusetzen. Patrick arbeitete ebenfalls schnell und effektiv, er wollte deutlich fertig werden, und Dad schlug verbissen Nägel ein und jammerte kaum, wenn er wieder mal nicht traf. Die Arbeit erwies sich zum Glück als nicht gar so umfangreich, wie Viola befürchtet hatte. Tatsächlich waren drei Seiten der Koppel bereits mit Zaunpfosten versehen. Hier reichte es, den Elektrozaun dazwischen zu erneuern. Viola sicherte sich die Aufgabe, Isolatoren einzuschrauben, und arbeitete im Dickicht, weit weg von Bills Gegrummel, Dads bemühten Scherzen und Patricks und Shawnas Streitereien. Hier konnte sie sich vorstellen, eine verwunschene Prinzessin in einem Videospiel zu sein, und gleich würde hoffentlich irgendein möglichst begabter Spieler seinen Prinzen auf sie zulenken und sie von der Fronarbeit befreien. Die Fantasie half allerdings nur so lange weiter, bis Viola völlig durchfeuchtet war: Die modischen Gummistiefel boten, wie Shawna vorausgesagt hatte, lediglich ein Auffangbecken für Fußschweiß. Nachdem sich die Regenwolken verzogen hatten, lief die Sonne heute noch mal zu voller Form auf, sodass auch Violas T-Shirt bald völlig durchgeschwitzt war. Sie wünschte sich auf die andere Seite des Bildschirms. Dieses Videospiel wurde ihr zu realistisch.
Aber dann war die Weide endlich geschlossen, und Shawna und Patrick halfen Viola, auch in die neuen Pfähle Isolatoren zu drehen.
»Wieso habt ihr denn überhaupt Latten angenagelt, wenn's doch ein Elektrozaun wird?«, fragte Viola mürrisch. »Wir wären drei Stunden früher fertig geworden ...«
»Aber
Weitere Kostenlose Bücher