Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
mir nichts bekannt“, sagte er und wandte sich wieder seiner Tätigkeit zu. Er stieß einen unterdrückten Fluch aus, dauerte es ihm doch viel zu lange, bis er sich endlich aufmachen konnte.
„Mir schon“, versicherte Jean, wobei er dem Hengst die glänzende Kruppe tätschelte.
„Woher willst du denn das wissen?“, fragte Hugues ungehalten.
Zu seiner Überraschung brach sein Schwager in schallendes Gelächter aus. „Hast wohl schon vergessen, dass ich es war, der seine Prahlerei über den einzigen Sohn ertragen musste.“
„Mir ist im Augenblick nicht zum Scherzen zumute“, versetzte Hugues gereizt, wobei er den widerspenstigen Steigbügel beiseitewarf und sich wutentbrannt in den Sattel schwang. Jean schnappte sich die Zügel, hielt den Hengst an der kurzen Leine und zwang seinen Schwager auf diese Weise, ihn nochmals anzusehen.
„Ich scherze keineswegs“, sagte er. „Dein Vater war stolz auf dich. Er hätte auf keinen Fall gewollt, dass du dein Erbe ausschlägst.“
„Dann hätte er nicht so reden sollen.“
„Vielleicht nicht, aber jetzt kann er den Schaden ja wohl nicht mehr gutmachen“, mahnte Jean.
Hugues brummte zwar mürrisch, beschloss jedoch, sich seinem Schwager anzuvertrauen. „Ehrlich gesagt, Jean, ich glaube nicht, dass ich es ohne sie schaffe“, gestand er. „Es ist bereits so vieles geschehen, dass ich total durcheinander bin und offenbar auch überfordert von der Aufgabe.“ Nach Worten ringend hielt er inne, außerstande, Jean in die Augen zu blicken, fürchtete er doch, darin nur Spott zu sehen. „Ich bin auf ihre Kraft angewiesen“, setzte er noch hinzu und hörte, wie seine Worte in der Stille des Stalles widerhallten.
„Und wenn du sie findest?“, fragte Jean nach kurzem Schweigen. Zu seinem Erstaunen stellte Hugues fest, dass sein Schwager keineswegs spöttisch grinste, sondern eher nachdenklich wirkte. Hugues’ Verblüffung war Jean offenbar nicht entgangen. „Wirklich, du erweist deiner Schwester Louise einen Bärendienst, wenn du glaubst, ich wüsste nicht, was du vorhast“, meinte er vorwurfsvoll.
Hugues merkte, wie er rot wurde. „Ich wollte dir nicht zu nahe treten“, begann er, aber Jean winkte schon ab.
„Ich nehme es dir auch nicht krumm. Ich möchte nur wissen, ob meine Nachbarn auf Pontesse ehrenwerte Leute sein werden oder Pfaffen.“
Hugues schüttelte lachend den Kopf. „Keine Ahnung“, gestand er, „denn ich weiß ja nicht, was Sophie will. Ja, ich kann nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob ich sie überhaupt finde.“
„Ach, da sei unbesorgt“, betonte Jean mit einer Gewissheit, die Hugues vollkommen abging. „Du hast also vor, allein zu reiten?“
„Allerdings. Trotzdem danke für dein Angebot.“
Jean ging neben dem Pferd einher, während Hugues es aus dem Stall hinauslenkte. Auf dem sonnigen Burghof zog er noch einmal die Zügel an. Die beiden Ritter sahen sich lange und schweigend an und grinsten dann beide.
Jean bot dem Schwager die Hand. „Gott mit dir, und viel Glück“, sagte er herzlich, worauf Hugues den Händedruck kräftig erwiderte. Noch einmal nickten die beiden sich zu, und dann gab Hugues seinem Schlachtross die Sporen. Als er wenig später zum Burgtor hinaustrabte, schaute er der Zukunft mit einer Zuversicht entgegen, wie er sie lange nicht verspürt hatte.
15. KAPITEL
Es dämmerte bereits, als Hugues ein gutes Stück weiter vorn auf einer Straßenkehre einen Reiter entdeckte. Sofort schlug sein Herz schneller, doch er versuchte Ruhe zu bewahren, damit er nicht allzu enttäuscht sein würde, wenn es sich bloß um einen normalen Reisenden handelte. Er war bislang gut vorangekommen; in zügigem Trab folgte der Hengst der Landstraße, die sich am Ufer der Loire entlangschlängelte. Dass er Sophie so rasch eingeholt haben sollte, schien Hugues fast zu schön, um wahr zu sein.
Die Landstraße wand sich nun in weitem Bogen direkt in das Licht der untergehenden Sonne. In diesem Schein gewahrte Hugues flüchtig das Haselnussbraun des Zelters und einen Reiter in einem dunkelgrünen Umhang. Sofort hieb Hugues seinem Hengst aufmunternd die Sporen in die Weichen und überlegte, ob es wohl klug sei, durch lautes Rufen auf sich aufmerksam zu machen. Doch er war viel zu aufgeregt und erleichtert, um sagen zu können, was wohl das Beste wäre.
Erst jetzt wurde ihm recht bewusst, wie spät es bereits sein musste und dass Sophie ganz allein unterwegs war. Schließlich obsiegte doch sein Zorn darüber, dass sie auf diese
Weitere Kostenlose Bücher