Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
hinausblickte.
Eigentlich, ging ihm spontan durch den Kopf, müsstest du sie noch heute Nacht aufsuchen. Die Luft war mild und voll sommerlicher Verheißung. Im hellen Mondschein könnten sie jetzt hinüberspazieren zu den Weiden, zu jenen Bäumen, die ihr so ähnlich waren an Kraft und Eleganz. Und dort am Ufer der Loire könnte er um ihre Hand anhalten.
Doch nein. Ein Blick zum Mond verriet die späte Stunde, und Hugues war nur zu bewusst, dass er Sophie jetzt nicht mehr im Schlummer stören durfte, zumal aus einer solch leichtfertigen Laune heraus. Abermals musste er schmunzeln bei der Vorstellung, dass sie es vielleicht sogar erheiternd gefunden hätte. Amüsiert schüttelte er den Kopf.
Sollte er den Rest seiner Tage auf Sophie hören, würde sie ihm noch vollkommen den Kopf verdrehen. Und dass ihm diese Aussicht überhaupt nichts ausmachte, erstaunte ihn nicht im Mindesten.
„Milord! Sie sind fort!“
Benommen öffnete Hugues die Augen. Vor ihm stand der Burgvogt und rüttelte ihn hektisch an der Schulter, was seiner sonst so reservierten Art ganz und gar nicht entsprach. Als ihn die blendenden Sonnenstrahlen trafen, machte Hugues die Augen zwar gleich wieder zu, stemmte sich aber dennoch mühselig auf die Ellbogen hoch. Offenbar war er wohl im Burgsaal am Tisch eingenickt, wie er jetzt feststellte, denn sein verkrampfter Körper rebellierte heftig gegen die Bewegung. Außerdem fror ihn in der kühlen Morgenluft.
„Wer?“, fragte er eher desinteressiert. „Wer ist fort?“
„Eure Schwester und dieser Venezianer“, jammerte Eduard.
Schlagartig war Hugues hellwach. „Was höre ich da?“
Der Kastellan rang verzweifelt die Hände. „Beide weg! Ihre Betten unberührt, und seit Eurem Streit mit diesem Giulio hat sie kein Mensch mehr gesehen.“
„Aber wohin sollten sie denn sein?“, forschte Hugues, dessen Denkvermögen allmählich aus seinem Tiefschlaf erwachte. „Und mit welcher Absicht?“
„Milord“, flüsterte der Burgvogt. „Ich fürchte, sie sind durchgebrannt.“
„Vor der Beisetzung?“, fragte Hugues skeptisch. Dass Justine sich diese Freiheit herausnehmen würde, mochte er nicht recht glauben. Allerdings wurde ihm bang ums Herz, als der Burgvogt bejahend nickte.
„Wie es scheint, hat Justine sich einer ihrer Zofen anvertraut“, raunte er verschwörerisch.
Wie vom Donner gerührt sackte Hugues wieder auf seine Sitzbank nieder. Durchgebrannt! Aus dem Staub gemacht wie eine gewöhnliche Bauernmagd, um die Vermählung durchzusetzen. Wer hätte für möglich gehalten, dass Justine zu so etwas fähig sein würde?
Was nun? Sollte er ihr einen Trupp Verfolger hinterherschicken? Man durfte wohl nicht davon ausgehen, dass Justine sich lammfromm von der Burgwache nach Hause zurück eskortieren ließ. Falls überhaupt, dann musste er sich schon selbst aufmachen. Hugues ließ sich die Idee kurz durch den Sinn gehen und schüttelte dann den Kopf. Nein, sie hatte schon am Vortag nicht auf ihn gehört und würde das auch diesmal nicht tun.
„Soll ich die Pferde satteln lassen und die Burgbesatzung in Alarmbereitschaft versetzen?“, fragte der Kastellan und riss Hugues aus seinen Gedanken.
„Nein“, versetzte Hugues leise. „Sie hat sich so entschieden. Das ist ihr gutes Recht, und das werde ich respektieren.“
„Aber Milord …“
„Kein Aber, Eduard. Falls Justine die Vermählung so sehr will, dass sie sogar deswegen ohne Zustimmung der Familie ausreißt, möchte ich ihr nicht im Weg stehen“, bekundete Hugues tonlos. Der Kastellan verkniff leicht die Lippen – ein Hauch von Missbilligung, den er sich erlaubte, bevor er sich wieder fasste. Es spielte auch keine Rolle, dass Hugues diesem venezianischen Kaufmann nicht über den Weg traute, denn schließlich war es Justine, die es für den Rest ihres Lebens mit ihm aushalten musste. Da war es nur nachvollziehbar, dass man ihre Entscheidung respektierte.
Möglicherweise waren die zwei ja füreinander bestimmt. Immerhin verfolgten sie ihre Vermählung dermaßen zielstrebig, dass sie dafür sogar Justines Mitgift sausen ließen. Dabei war es ein erkleckliches Sümmchen, was der alte de Pontesse für seine jüngste Tochter beiseitegelegt hatte. Dass Justine dies dermaßen töricht ausschlug, verursachte Hugues einiges Kopfzerbrechen. Ob nun erfolgreicher Kaufmann oder nicht: Angesichts dieser spontanen Aktion bezweifelte Hugues, dass der Bursche wusste, was er da in den Wind schlug.
Justines Mitgift war dahin – und mit ihr auch
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