Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
Hugues’ eigenes Erbe.
Diese Erkenntnis traf ihn mit der Wucht eines Huftritts, und er sah bedrückt vor sich hin, ehe er sich widerstrebend aufraffte. Hatte er bei dieser letzten Forderung seines Vaters versagt? Hatte der Alte ihm nicht deutlich klargemacht, er würde sein Erbe verlieren, falls Justine diese Vermählung durchsetzte? Es blieb Hugues nun nichts anderes übrig, als sich dem Wunsch seines Vaters zu fügen, selbst jetzt im Nachhinein noch. Verlegen hielt er den Atem an, als er merkte, dass der Burgvogt ihn eingehend musterte. Doch wie sollte er Eduard sagen, was ihm durch den Kopf gegangen war?
In diesem Augenblick begriff er, dass es nur eine einzige Person gab, die ihm das Gewissen erleichtern und ihm helfen konnte, in diesem Durcheinander nicht den Überblick zu verlieren.
„Hast du Sophie heute Morgen schon gesehen?“, erkundigte er sich. Er musste sich förmlich zwingen zu dieser Frage, so eng war ihm die Brust. Zu seinem Entsetzen verneinte der Burgvogt kopfschüttelnd.
„Nein, seit dem Heimgang Eures Herrn Vaters habe ich sie nicht mehr gesehen“, antwortete er. Erst jetzt fiel Hugues auf, dass auch er sie seitdem nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Er war dermaßen beschäftigt gewesen und die Stunde so spät, dass er angenommen hatte, sie habe sich still zurückgezogen. Inzwischen merkte er, dass das Sophie überhaupt nicht ähnlich sah. Er musste sich zusammennehmen, um sich die Angst, die ihm gegen alle Vernunft in der Kehle aufstieg, nicht anmerken zu lassen.
„Dann lass nach ihr suchen, Eduard. Ich wünsche sie so bald wie möglich zu sprechen.“
Der Kastellan musste das bange Zittern in Hugues’ Stimme wohl bemerkt haben, denn er eilte geschwind davon, während Hugues ungeduldig am Kamin wartete. Es kam ihm so vor, als verging darüber eine halbe Ewigkeit, und er malte sich bereits aus, dass die Sonne schon hoch am Himmel stand, als der Burgverwalter ganz außer Atem angehastet kam.
„Auch sie ist verschwunden, Milord!“, rief er und bestätigte damit Hugues’ schlimmste Befürchtungen.
Entsetzt schnürte sich ihm abermals die Brust zusammen. „Was ist denn heute los?“,zürnte er gereizt. Wieso sollte sie fort sein? Wohin sollte sie sich denn wenden? Wie war das möglich, dass sie abgereist sein sollte, ohne vorher ein Wort darüber zu verlieren?
„Niemand hat sie seit gestern Abend gesehen. Seit Justine …“ Der Burgverwalter brach ab.
Hugues hingegen erinnerte sich noch bestens an die hässlichen Vorwürfe seiner Schwester. Mit geschlossenen Augen stellte er sich Sophies Qualen vor. Dann straffte er sich plötzlich und machte sich kurz entschlossen auf zum Pferdestall.
Er musste sie finden, ganz egal, wohin sie auch gegangen sein mochte. Und dann würde er sie irgendwie davon überzeugen, dass Justines Anklagen bedeutungslos waren. Wusste sie denn nicht, dass er sie zu seiner Braut machen wollte? Glaubte sie allen Ernstes, er würde sich durch Justines Unsinn beirren lassen?
„Wohin geht Ihr, Milord?“, rief der Kastellan ihm flehentlich nach und eilte ihm hinterdrein.
Hugues warf ihm über die Schulter einen gereizten Blick zu. „Ich will Sophie finden“, erklärte er und trat blinzelnd in den sonnenüberfluteten Burghof hinaus, ohne seine Schritte zu verlangsamen.
„Aber Milord …“, protestierte der Burgvogt, doch Hugues achtete nicht auf ihn, sondern winkte bereits den Stallburschen herbei. Ein rascher Kontrollgang durch die Ställe enthüllte, dass der braune Zelter fehlte, den er in La Rochelle erstanden hatte. Sofort wurde Hugues bang ums Herz.
„Wann ist die junge Dame fortgeritten?“, fuhr er den völlig verdatterten Stallknecht an.
Der äugte über die Schulter zu dem verwaisten Stellplatz hinüber und schluckte heftig. „Gestern Abend war das, Milord“, gestand er kleinlaut.
Hugues geriet in Rage. „Gestern Abend? Eine Dame kehrt über Nacht nicht in die Burg zurück, und kein Mensch erstattet Meldung?“
Mittlerweile wirkte der Stallbursche ausgesprochen verunsichert. Verlegen guckte er von einer Seite zu anderen, als hoffe er, dass von irgendwo Rettung in letzter Minute käme. „Sie teilte mir mit, sie wolle nur einen kurzen Ausritt machen, Milord. Und ehrlich gesagt, ich hatte alle Hände voll zu tun, denn bei den vielen Meldern war ein Kommen und Gehen mit den Gäulen. Da hab ich schlicht vergessen, dass sie ja ausgeritten war.“ Er schluckte abermals und warf seinem Herrn einen unsicheren Blick zu. Der aber raufte sich nur
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