Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
Vom Netzwerk:
Gleichgewicht und stürzte zu Boden.
    Philip drehte sich nach der Frau um. Vielleicht würde sie ihm helfen, jetzt, da nicht ihr Leben, sondern seines in Gefahr war. Aber sie war verschwunden, verschluckt vom Nebel.
    Er rang nach Atem. Er roch keine Vanille mehr. Er roch faulendes Obst, verfallendes organisches Material – der süße Duft der Verwesung. Wie gelähmt starrte er auf einen bleichen Schädel, der vor ihm auftauchte, sah, wie Finger, die zu einem modernden Körper gehörten, sich streckten, eine blasse Knospe, die zu etwas Tödlichem erblühte. Er konnte seinen Kopf gerade noch herumreißen und der zuschnappenden Klaue entgehen. Zugleich spürte er eine Berührung an seinem linken Unterschenkel. Schreiend wirbelte er herum, etwas hing wie ein bissiger Hund an ihm – zwei Hände klammerten sich an seinem Bein fest. Die Knochen der Finger blitzten bleich im Stroboskoplicht.
    Aus der wogenden Masse auf der Tanzfläche formten sich immer mehr Leiber, denen jede Grundlage zum Leben fehlte, keine Haut, kein Fleisch, keine Muskeln. Von allen Seiten rückten sie näher, mit vorstoßenden Armen und schnappenden Klauen, blanke Schädel entblößten gelbe Zähne, Augen richteten sich auf ihn, in denen Hass und Hunger brannten.
    Philip schnappte nach Luft. Die Welt drehte sich vor seinen Augen.
    Er schlug in Gesichter, die keine mehr waren, trat nach Knochen, spürte, wie sie zerbrachen, kämpfte sich vorwärts, die Stufen empor, die zum Ausgang führten. Eine Stimme hinter ihm rief undeutlich seinen Namen. Er konnte sie nicht zuordnen. Ken? Eines der Ungeheuer? Egal.
    Der Türsteher war ein Berg von Mann und mahnte Philip zur Besonnenheit. Er stellte sich ihm in den Weg, hob beschwichtigend die Hände und dachte im Traum nicht daran, dass ein Winzling wie Philip ihm gefährlich werden könnte. Ohne langsamer zu werden, rammte Philip ihm die Faust in den Magen, und der Bulle knickte wie ein Streichholz zusammen.
    Kopfüber stürzte sich Philip in die Nacht, die ihn mit ihrem eisigen Mantel vor seinen Verfolgern rettete. Jetzt war er nicht nur vor der Polizei auf der Flucht, sondern auch vor Zombies, die ihn in seinem Lieblingsclub überfallen hatten. Nicht dass ihn diese neueste Entwicklung noch übermäßig in Erstaunen hätte versetzen können. Aber ich wüsste schon gerne, was das alles zu bedeuten hat.
    Die Drogen verzerrten noch immer seine Wahrnehmung, sein Blick blieb getrübt. Er wankte nach rechts. Wo wollte er eigentlich hin? Nein, korrigierte ihn eine spöttische Stimme in seinem Kopf, die Frage ist eher: Wo kannst du noch hin?
    Er rannte zum Potsdamer Platz, jene Beton, Stahl und Glas gewordene Utopie, das Babylon Berlins. Hinter seinen Schläfen erhob ein pulsierender Schmerz Einwände gegen die schnellen Bewegungen. Sein Körper hatte eigene Pläne. Die Extremitäten zuckten spastisch, er verlor die Kontrolle über seine Muskeln. Er kannte diese Nebenwirkungen der Pillen, nur setzten sie zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt ein.
    Bremsen quietschten direkt hinter ihm. Eine Hupe ließ sein Trommelfell explodieren. Unter großer Anstrengung rettete er sich zurück auf den Bürgersteig. Der Mercedes beschleunigte mit durchdrehenden Reifen, der Fahrer zeigte ihm den Mittelfinger. Am liebsten hätte Philip ihm etwas hinterhergeschleudert, und wenn’s nur sein… Mein Rucksack, fiel ihm siedend heiß ein. Ich hab den Rucksack vergessen. Darin waren seine Geldbörse, sein Ausweis, seine Kamera, Hosen, Shirts. Doch brauchte er die Sachen jetzt noch? Er spürte die Kälte ohnehin nicht. Der Trip gaukelte Hitze vor. Aber die Schritte hinter ihm waren Realität.
    Jemand verfolgte ihn. Okay, man konnte ihn manisch nennen. Vielleicht entwickelte er sich zum Psychopathen. Vielleicht sah er Mörder, Geister und Zombies. Vielleicht wurde er verrückt. Aber er würde sich nicht umdrehen, um sich davon zu überzeugen, dass da nur ein harmloser nächtlicher Passant unterwegs war – was nämlich, wenn der Psychopath in ihm Recht hatte?
    Das Zeug in seinen Blutbahnen zerrte an ihm, entließ ihn nicht aus seinem glühenden Griff, stieß ihn zugleich aber auch vorwärts. Die Neugier zwang die Angst in den Hintergrund und Philip drehte sich um.
    Eine Frau schritt auf ihn zu. Eine Frau, so alt und verhärmt, dass sie wie ein Gespenst aussah. Nicht schon wieder. Die Haut der Frau bestand aus aberdutzenden Falten, tiefe Runzeln, aus denen der Tod ihn ansprang. Das Déjà-vu überwältigte ihn und er rannte weiter, wieder Herr

Weitere Kostenlose Bücher