Ruf der Toten
Spaghettiträgeroberteil bewegte sich an ihrer Stelle im Takt der Musik und die Brüste hüpften dazu. Sie hielt die Augen geschlossen, den Mund zu einem glückseligen Grinsen verzogen, Schweißperlen glitzerten um ihren Bauchnabel herum, und ihre Brüste waren groß, beinahe so groß wie die von Chris. Wahrscheinlich hatte er sie deswegen verwechselt.
Auch er schwitzte, das Hemd klebte an seinem Oberkörper. Die Flüssigkeit schwemmte die Drogen aus seinem Körper. Er ging zur Theke und trank einen Jägermeister, bevor er zurück in die Dunkelheit der Tanzfläche tauchte.
Wie aus dem Nichts gekommen, tanzte plötzlich Ken wieder neben ihm. Seine Pupillen waren groß, zwei riesige strahlende Monokel. Er tanzte, und Philip folgte seinem Beispiel. Die monotonen Rhythmen entführten ihn an einen wunderbaren Ort, tief in seinem Inneren. Er nahm nicht mehr wahr, wie die Zeit verging, irgendwann legten sich zwei Finger auf seine Zunge und hinterließen eine weitere Pille. Auf Ken war Verlass.
Plötzlich kam alles auf einmal. Der absolute Kick. Piss die Wand an. Keine Probleme mehr, wie fortgeblasen. Nur noch Freundlichkeit. Sein, wie er immer sein wollte.
Die Scheinwerfer glitzerten hell. Sonnen, die sich um einen Planeten drehten, nein, um ihn, nur um ihn, die den Winter vertrieben, ihm Wärme schenkten. Warm, so warm. Auf einer anderen Ebene seines Bewusstseins war Philip klar, dass die Emotionen nur ein großer Traum waren. Ein Traum aber, der alles überdeckte, was sonst wichtig war. Selbst das Wissen um seine Existenz. Ein geheimnisvoller Kreislauf. Ein Kreis, der enger und enger wurde, bis er schließlich die Wahrnehmung der Realität völlig blockierte. Philip begann zu lachen. Ich bin wieder normal. Ich bin glücklich. Das ist ein Grund zum Feiern…
Als sei der Nebel vor ihm süße Zuckerwatte in einem großen Swimmingpool, sprang er mit weit geöffnetem Mund hinein, und überrascht stellte er fest, wie der Nebel vor ihm zurückwich. Nein, korrigierte Philip sich, er wich nicht zurück, er teilte sich. Das Lachen erstarb auf seinen Lippen, machte dem Erstaunen Platz.
Eine Frau trat aus der Gasse, die der Nebel bildete, und Philip erkannte sie auf Anhieb. Nie hätte er das Gesicht vergessen können, jene zarte Schönheit, die mit dem Messer herausgetrieben worden war, bis nur noch blutiger Matsch übrig blieb. Aber das konnte nur ein böser Traum gewesen sein. Denn jetzt stand die Frau vor ihm, quicklebendig, die Haut ohne jeden Makel, umgeben nur von Nebelschwaden, die sich schützend an sie schmiegten und dafür sorgten, dass ihr kein Leid geschah.
Sie trug ein Kleid, das an eine Uniform erinnerte, wie sie die Bankangestellten einst hier unten getragen haben mussten. Eine Bank. Vor langer Zeit. Der Gedanke verschwand so schnell, wie er aufgeblitzt war, als die Frau ihn mit ihren tiefen dunklen Augen ansah und er darin versank. Die Zeit stand still, ihr Blick berührte ihn zutiefst, berauschte ihn, mehr noch als die Drogen, die in seinem Körper wirkten.
So standen sie sich gegenüber, sahen sich an, fasziniert und irgendwie ungläubig, dass sie die Zeit überwanden, Leben und Tod und alles, was geschehen war.
Sie nickte, als wisse sie um seine Gedanken, teile sie. Sie sagte etwas, aber die Musik war so laut, dass er sie nicht verstand. Er trat einen Schritt nach vorn. Diesmal würde er nicht versäumen, was sie ihm zu sagen hatte. Sie trat einen Schritt zurück. Er bemühte sich, von ihren Lippen zu lesen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Im Grunde war es auch egal. Er freute sich, sie zu sehen. Dass sie nicht tot war. Dass alles nur ein dummer Irrtum gewesen war. Die Drogen, sie hatten ihm etwas vorgegaukelt, nur die Drogen. Alles würde in Ordnung kommen, er musste sich nur zusammenreißen. Einsicht war immer ein Weg zur Besserung.
Eine Hand berührte ihn an der Wange. Er ergriff sie, drückte sie, wollte sein Glück teilen, wem auch immer die Hand gehören mochte. Vielleicht war es die Hand von Ken. Ja, mit Ken wollte er sein Glück teilen. Ken war sein Freund. Er verstand ihn. Er würde ihm helfen. Ken half immer. Ken war Soziologe.
Ken war tot. Eine deformierte Fratze schälte sich aus dem Kunstnebel. Philip prallte zurück, und das Monster verschwand im künstlichen Nebel. Er bekam einen Stoß in den Rücken, der ihm den Atem raubte; er taumelte. Ein weiterer Stoß. Seine Hände suchten nach Halt, krallten sich in das Shirt eines Mädchens, dessen Augen sich erschrocken weiteten. Es verlor das
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