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Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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Und endlich ging ihm auf: Was ich sagen möchte, glaubt mir doch kein Mensch, nicht nach dem Donnerwetter heute Morgen. Er brauchte die Fotos, er musste es ihnen schwarz auf weiß zeigen. Warum war er nicht gleich in die Dunkelkammer verschwunden?
    Er lief zur Tür. »Ich komme gleich wieder. Ich muss in die Dunkelkammer. Ich mache die Bilder fertig. Sie werden sehen, das Foto ist es!«
    »Philip!«, rief ihm Fankow hinterher, doch er hastete bereits den Gang entlang. Er riss die Tür zur Dunkelkammer auf, schmiss seine Jacke auf einen Stuhl, und innerhalb von zehn Minuten waren die Negative entwickelt. Er zog den Filmstreifen durch die Belichterleuchte, das Licht flammte über dem ersten Negativ auf und übertrug das Bild auf das Fotopapier. Mit der Pinzette verfrachtete er die Vorlage in die Wanne mit der Entwicklerflüssigkeit. Dort traten wie von Zauberhand erste Konturen auf dem Papier zum Vorschein. Langsam füllten sie sich aus. Eine neue Welt wurde geboren.
    Sie blieb leer.
    Was nicht ganz der Wahrheit entsprach. Auf dem Foto war durchaus etwas zu erkennen, sogar klar und deutlich. Das Bild gab den Hausdurchgang wieder, auch die Tür, das Glas. Selbst die Marmorverkleidung war scharf getroffen, kein Fotograf hätte es besser hinbekommen. Nur von dem Mörder fehlte jede Spur. Genauso wie von der Leiche. Nicht einmal Blutspritzer waren zu sehen, kein einziger.
    Nichts.
    Philip traute seinen Augen nicht. Er beugte sich tiefer hinab, bis seine Nase fast in die Entwicklerflüssigkeit tauchte. Der Gestank war ätzend, doch das störte ihn in diesem Augenblick nicht.
    Er griff nach einem anderen Negativ und vollzog die gleiche Prozedur. Er konnte es kaum erwarten, bis die Flüssigkeit die fertige Papiervorlage ausspuckte.
    »Nun komm schon«, trieb er zur Eile an. »Komm schon, komm schon!« Ohne auf sein Drängen zu reagieren, kristallisierte sich das Bild nur zögerlich aus dem Weiß der Papiervorlage heraus.
    Wieder nichts.
    Das konnte nicht sein. Doch egal, welches der Fotos Philip hektisch entwickelte, es zeigte entweder den krüppeligen Weihnachtsbaum neben der Gedächtniskirche oder aber den leeren Hausflur am Ku’damm. Sechs Bilder hielt er zum Schluss in den Händen. Auf allen war ein und dasselbe zu sehen. Nichts außer dem marmorierten Hauseingang. Unmöglich. Er war Zeuge eines brutalen Mordes geworden.
    Er hatte die Tat fotografiert, das Klicken der Spiegelreflex tönte noch in seinen Ohren. Der Mörder musste auf den Bildern zu sehen sein. Wenigstens auf einem der Bilder. Ich bin doch kein Anfänger.
    An der Tür klopfte es. Philip erschrak und die Fotos glitten ihm aus der Hand. Sie fielen in die Entwicklerwanne und spritzten einige Säuretropfen auf sein Hemd. Kleine Löcher brannten sich in den Stoff.
    Erneut schlug jemand von außen gegen die Tür. Es war Fankow. »Philip, wie schaut es aus?«
    Was sollte er tun? Er wusste keine Antwort. »Ich komme gleich!«
    »Wir brauchen eines deiner Weihnachtsbilder.«
    Philip fuhr zusammen. Die Weihnachtsbilder! Er hatte sie vergessen. Nun hielt er gar nichts in den Händen. Nichts außer einer verkrüppelten Tanne. Es war nicht zu leugnen: Er steckte mächtig in der Scheiße.
    Er schaltete das Rotlicht ab und öffnete die Tür. Fankow erwartete ihn bereits. »Und, was ist mit deinem Foto?«
    Philip wich seinem Blick aus. »Nichts.«
    »Nichts?«
    Kleinlaut gab er zu: »Es ist schief gegangen.«
    Fankow sog die Luft geräuschvoll durch die Nase. Genauso gut hätte er sagen können: Habe ich mir doch gedacht. »Und die Weihnachtsmotive?«
    »Habe ich vergessen.« Seine Stimme war kaum hörbar. »Es tut mir Leid.« Er machte eine Pause und versprach: »Ich werde gleich noch mal losgehen.«
    Fankow atmete angestrengt ein, noch lauter als zuvor. »Lass es gut sein«, sagte er resigniert. »Ich glaube, es ist besser, wenn du erst einmal Urlaub nimmst…«
    Philip biss sich auf die Unterlippe. »Das ist nicht Ihr Ernst?«
    »Doch, mein voller Ernst.«
    Es war, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen. Eine Beurlaubung kam einer Entlassung gleich. Kein Job bedeutete keine Kohle. Und keine Kohle hieß:
    Sozialfall. »Kommen Sie, Chef, das können Sie mir nicht antun.«
    Fankow rückte seine Brille zurecht. »Das hättest du dir vorher überlegen müssen.«
    »Aber es war doch nur…«
    Sein Chef schnitt ihm mit einer herrischen Handbewegung das Wort ab.
    Philip wurde lauter. »Verdammt noch mal, nur wegen der beschissenen Weihnachtsbilder?« Dehnen trat

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