Ruf der Vergangenheit
Jahren Silentium, in denen die Medialen im Netz sich abschotteten, wurde keine Mühe mehr darauf verwendet, geistige Fähigkeiten zu testen. Niemand kam auf die Idee, dass die verrückten Kinder wirklich Stimmen hörten. Einige waren latent telepathisch veranlagt, und die Fähigkeit zeigte sich, sobald sie in die Pubertät kamen. Einige hatten schwache empathische Gaben und wurden von den Gefühlen anderer überwältigt. Und wieder andere … wenige bargen geheime Schätze, Gaben, die sich durch genetische Veränderung entwickelt hatten.
Glen kam gerade aus einem Zimmer heraus, und Dev machte den Arzt auf sich aufmerksam. Eilig kam dieser auf sie zu, dunkle Ringe unter den Augen.
Dev bemerkte die zerknitterten Kleider seines Freundes, das ungekämmte, nach allen Seiten abstehende fuchsrote Haar. „Ich dachte, deine Schicht wäre vorbei.“
Glen fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das dadurch nur noch wilder abstand. „Ich wollte zur Stelle sein, falls unser Gast aufwacht. Hatte mich im Aufenthaltsraum hingelegt.“
Sie stellten sich rasch gegenseitig vor und gingen dann in Ekaterinas Zimmer. Dev war überrascht, dass die Mediale wach im Bett saß und an einer Tasse nippte. Er sah Glen fragend an.
„Seit noch nicht einmal zehn Minuten“, murmelte der Arzt.
Ekaterina schaute nur Dev an, ihr Blick hatte Ashaya nur flüchtig gestreift, als würde ihre frühere Kollegin gar nicht existieren. „Der Nebel lichtet sich langsam.“ Ihre Stimme klang heiser, als hätte sie lange nicht gesprochen … oder als wäre sie in brutaler Weise gebrochen worden.
Dev ging zu ihr, nahm ihr die Tasse aus der Hand und schaute gebannt in die umwölkten grüngoldenen Augen. „Woran können Sie sich erinnern?“
Sie schluckte, sah ihm aber weiter in die Augen. „Ich weiß nicht, wer ich bin.“ Ihre Stimme zitterte nicht, in ihren Augen standen keine Tränen. Dennoch hörte Dev den innerlichen Aufschrei – herzzerreißend dünn traf er ihn mitten in die Brust.
Ein kleiner, kaum noch wahrnehmbarer Teil von ihm wollte Trost spenden, aber diese Frau war allein durch ihre bloße Existenz eine Gefahr für die ihm Anvertrauten. Sie war eine Mediale. Man konnte niemandem trauen, der mit dem Medialnet verbunden war. Selbst wenn sie sich menschlicher verhielt als ihre Brüder und Schwestern, musste er sie wie eine gefährliche Waffe behandeln, die die Saat zur Vernichtung von Shine mit sich führte. Und sollte es sich erweisen, dass es tatsächlich so war, würde er eine tödliche Entscheidung fällen müssen … auch wenn er damit das letzte bisschen Menschlichkeit in sich auslöschte.
„Ekaterina“, sagte Ashaya leise.
Die Frau auf dem Bett blinzelte und schüttelte den Kopf. „Nein.“
„So heißen Sie“, sagte Dev und sorgte dafür, dass sie seinem Blick nicht ausweichen konnte.
Die zwischen Grün und Gold changierenden Haselaugen flackerten kurz auf und erloschen wieder, wie eine Kerzenflamme im Wind. „Ekaterina ist tot“, sagte sie ganz ruhig. „Alles ist tot. Nichts ist geblie–“ Ihre Zähne schlugen aufeinander und ihr Körper wand sich in Zuckungen.
„Glen!“ Dev hielt sie fest, damit sie sich nicht selbst wehtat oder gar vom Bett fiel, ihr Körper fühlte sich überraschend zerbrechlich an.
„Sag es.“
Sie presste die Lippen aufeinander.
„Sag es.“
Nein. Nein. Nein.
„Sag es.“
Er wurde nicht müde, gab nicht auf, drang aber auch nicht in ihren Geist ein. Die Angst davor, vor dem Schmerz, vor der Gewalt war schlimmer als der Akt selbst.
„Sag es.“
In den ersten Tagen, den ersten Wochen hatte sie standgehalten.
Aber er ließ nicht locker.
Ihre Zunge war ein dicker Klumpen, ihr Mund furchtbar trocken. Ihr Magen schmerzte. Aber sie hielt durch.
„Sag es.“
Drei Monate dauerte es, dann war sie so weit. Sagte es.
Sagte: „Ekaterina ist tot.“
„Sie hat das Bewusstsein verloren.“ Glen leuchtete mit der Taschenlampe in die Augen der leblosen Ekaterina. „Könnte noch eine Auswirkung der Betäubung sein, aber ich glaube, der Auslöser war ihr Name – eine Art psychische Mine.“
„Höchstwahrscheinlich eine Kombination von beidem“, sagte Ashaya und rasselte die Bestandteile des Schlafmittels herunter, das auf dem Krankenblatt stand. „Manches davon kann bei Medialen Erinnerungslücken auslösen.“
Die Augen des Arztes leuchteten auf, vor ihm stand eine Kollegin. „Genau. Möglicherweise hat man die Mittel im Zusammenhang mit anderen Methoden benutzt, um ihren Widerstand zu
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