Ruf der Vergangenheit
Programmierung. Die Mauer, hinter der ich mich befinde, ist in meinem Kopf verankert.“
Ein eiskalter Klumpen lag in seinem Magen. „Bist du dir sicher?“ Schweigen. „Sag schon.“
„Ich habe es aus jedem nur denkbaren Winkel betrachtet. Hoffte zuerst, ich hätte einen Fehler gemacht.“ Er hörte schon am Klang ihrer Stimme, dass das nicht der Fall war.
Dev war nicht nur ein Telepath, er wusste auch alles über die neuen und alten Fähigkeiten der Vergessenen. Deshalb wusste er auch verdammt gut, dass etwas, das im Kopf eines Individuums und nicht nur im neuronalen Netz verankert war, den Verstand in Stücke reißen würde, wenn man es unsachgemäß zu entfernen versuchte. Und im Augenblick besaß nur Ratsherr Ming LeBon den Schlüssel zu Katyas innerem Gefängnis.
Er brauchte nicht lange für seine Entscheidung. „Wir müssen Ming finden.“
Katyas Kopf fuhr herum. „Nein, Dev, auf keinen Fall.“
Da sie den ganzen Tag mit Cruz verbracht hatte, war Sascha davon ausgegangen, sie würde aufgrund der Anstrengung schnell einschlafen. Doch lange, nachdem es im Wald ruhig geworden war, lag sie immer noch wach. Sie schmiegte sich an Lucas’ warmen Körper, strich mit den Fingern über seine Brust und versuchte in seinem Rhythmus zu atmen.
Ihr Körper entspannte sich, aber die Gedanken in ihrem Kopf rasten weiter. Sie gab den Versuch auf, einzuschlafen, und wollte aufstehen, um noch ein wenig zu lesen … doch Lucas hielt sie fest, sobald sie von ihm fortrücken wollte. Sie hätte ihn schlafen lassen sollen – strich aber dennoch mit der Hand über seine Wange. „Wach auf.“
Seine Augen waren die einer Raubkatze. „Was ist?“ Schläfrig drückte er sie an sich und legte ihr die Hand auf die Hüfte.
„Ich kann nicht schlafen.“
Seine Hand glitt auf ihren Bauch hoch. „Geht es dir gut?“ Zärtlich und beschützend.
„Ja.“ Sie strich über seinen Oberarm. „Ich bin nur hellwach.“
„Soll ich dich müde machen?“ Ein tiefes Knurren an ihrem Ohr, ein spielerisches Umkreisen des Bauchnabels.
Die Schmetterlinge in ihrem Bauch kannte sie gut. „Ein verführerisches Angebot.“
„Aber du willst lieber reden.“
Ihr Herz ging auf, so tief waren ihre Gefühle für diesen Mann, der sie so genau kannte, sie küsste seine Wange, strich mit den Fingern durch sein Haar. „Meine Beschäftigung mit Cruz … ach, Lucas, er ist so verletzlich, so offen.“
„Dann ist es nur gut, dass du ihn nie verletzen wirst.“
Genau das machte ihr Sorgen. „In dem Buch, das meine Mutter mir geschickt hat, steht, dass E-Mediale auch böse werden können.“
„Nein“, sagte Lucas und richtete sich auf. „Darin steht, E-Mediale sorgen sich manchmal so sehr um andere, dass sie zu wissen glauben, was für jeden richtig ist.“
„Und dann machen sie schlimme Dinge“, ließ sich Sascha nicht beirren. „Was ist zum Beispiel mit dem Empathen, den die Autorin beobachtet hat – er wollte jeden dazu bringen, gut zu sein. Und hat die Leute dadurch in den Wahnsinn getrieben.“
„Ein Einzelgänger – der weder eine Familie noch ein Rudel hatte. Glaubst du wirklich, ich würde zulassen, dass du dich in eine Größenwahnsinnige verwandelst?“ Amüsiert glitzerte es in den Leopardenaugen.
Sie schnitt eine Grimasse. „Es ist mir ernst.“ Doch es war ihm gelungen, die Angst in ihrer Brust zu lösen. „Ich wusste vorher gar nicht, dass ich die Gefühle von Leuten auf diese Weise beeinflussen kann, sie dazu zwingen könnte, ganz bestimmte Dinge zu fühlen.“
Lucas spielte mit ihrem Haar.
„Ich frage mich, warum meine Mutter mir dieses Buch geschickt hat“, murmelte Sascha. „Sollte es mich verunsichern, oder wollte sie mich warnen?“ Bei den meisten Müttern hätte sich diese Frage nicht gestellt, aber ihre Mutter war die Ratsherrin Nikita Duncan.
„Vielleicht ist ihr auch nur klar geworden, was für eine mächtige Verbündete du wärst.“
Sie sah ihn fragend an.
„Weißt du, was das Alphatier in mir für den interessantesten Aspekt hält?“, fragte er, legte sich auf sie und stütze sich auf den Ellbogen ab. „Die Tatsache, dass eine kardinale Empathin in vollem Besitz ihrer Kräfte den Aufstand Tausender im Keim ersticken könnte. Das wäre doch sehr nützlich, wenn man als Ratsmitglied eine Rebellion in den eigenen Reihen zu fürchten hätte.“
Sascha legte ihre Arme um Lucas’ Nacken. „Eldridges Buch zufolge hat diese Fähigkeit jahrzehntelang unzählige Leben
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