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Ruf der Wildnis

Ruf der Wildnis

Titel: Ruf der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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schläfrigen Tieren angespannte, eifrige und ehrgeizige Geschöpfe machte; der Stolz, der sie den ganzen Tag anspornte und der erst nachließ, wenn sie sich abends müde und noch voller Unruhe in ihren Schneenestern verkrochen. Dieser Stolz war es, der Spitz in Wut brachte, wenn die Schlittenhunde unterwegs Fehler machten, sich drückten oder sich morgens zur Zeit des Anspannens versteckten. Und um dieses Stolzes willen fürchtete Spitz den Südländer, in dem er den zukünftigen Leithund ahnte. Buck zeigte immer offener, daß er diese Vorherrschaft anstrebte.
    In einer Nacht trat heftiger Schneefall ein, und am Morgen fehlte Pike wie schon öfters. Er schlief geborgen in seinem Nest unterm Schnee. François rief und suchte ihn vergeblich. Spitz wurde wild vor Zorn. Er raste durch das Lager, schnüffelte und grub an jeder verdächtigen Stelle und knurrte so wütend, daß Pike, als er ihn hörte, sich in seinem Versteck noch tiefer verkroch.
    Als man ihn endlich doch entdeckte und Spitz auf ihn zuschnellte, um ihn zu züchtigen, warf sich Buck dazwischen. Er war es, der den Ungehorsamen strafen wollte. Der Angriff kam so überraschend, daß Spitz das Gleichgewicht und den Halt verlor. Pike, der gerade noch kläglich gezittert hatte, gewann angesichts dieser offenen Meuterei seinen Mut zurück und stürzte sich auf den am Boden liegenden Leithund. Buck hatte längst alle Regeln des »fair play« vergessen und sprang ebenfalls auf Spitz. François lachte zwar über den Vorfall, war jedoch so gerecht, daß er mit aller Macht auf Buck einhieb und ihn vertrieb. Jetzt erst konnte Spitz dem Übeltäter die wohlverdiente Strafe geben.
    Auch an den folgenden Tagen hörte Buck nicht auf, Spitz die Führerschaft streitig zu machen, aber er tat es nur dann, wenn François nicht in der Nähe war. Die Auflehnung gegen den Leithund zerstörte die Disziplin des Gespanns. Nur Dave und Solleks blieben davon unberührt, aber alle anderen wurden immer ungehorsamer und rebellischer. Es gab fortwährend Zank und Streit, und François hatte keine Ruhe mehr. Er bemühte sich vergeblich, die Ordnung aufrechtzuerhalten, aber er wußte, daß die Auseinandersetzung zwischen Buck und Spitz unvermeidlich war und mit dem Tod des einen enden mußte. Er versuchte, diesen Kampf hinauszuschieben, und mehr als einmal trieb ihn mitten in der Nacht der Lärm streitender Hunde aus seinem Schlafsack, aus Angst vor dem tödlichen Zweikampf der Rivalen. Aber noch war die Zeit dazu nicht gekommen. An einem düsteren, verhangenen Nachmittag zog das Gespann in Dawson ein, und der Kampf hatte noch nicht stattgefunden.
    In Dawson waren viele Männer und zahllose Hunde, und Buck sah, daß alle arbeiteten. Es schien zur festgesetzten Ordnung der Dinge zu gehören, daß Hunde arbeiten sollten. Den ganzen Tag zogen sie Brennholz und Balken, und bis in die Nacht hinein bimmelten die Schellen an den Schlitten. Hier in Dawson hatten die Hunde die Aufgaben der Pferde übernommen. Buck begegnete ein paar Hunden aus dem Süden, aber fast alle gehörten der wilden, wolfsähnlichen Nordlandrasse an. Jede Nacht stimmten sie pünktlich um neun, zwölf und drei Uhr ein infernalisches Geheul an, und Buck fiel in diesen unheimlichen, geisterhaften Gesang mit ein.

    Unter dem kaltflammenden Nordlicht, wenn das eisige Licht der Sterne an dem frostdurchschauerten Himmel zu tanzen schien, saßen sie im Kreis und sangen das uralte Lied, das so alt war wie das Geschlecht der Hunde selbst, das Lied von den Leiden und Schmerzen der Welt. Aus der Kehle Bucks schrie der Geist seiner Vorfahren, und der traurige Gesang war erfüllt von dem Weh unzähliger Generationen. Wenn er stöhnte und klagte, so war es die ewige Klage der leidenden Kreatur, jene Klage, in die schon seine wilden Väter ausgebrochen waren; und seine Angst vor dem schrecklichen Geheimnis der Kälte und der Finsternis war schon ihre Angst gewesen.
    Sieben Tage nach ihrer Ankunft in Dawson fuhren sie die Abhänge zum Yukon Trail zurück und zogen gegen Dyea und dem Salzwasser zu. Perrault führte Depeschen mit sich, die noch dringender waren als jene, die er gebracht hatte. Der Ehrgeiz hatte ihn gepackt, und er wollte diese Fahrt zur schnellsten des Jahres machen. Die Voraussetzungen waren günstig. Die einwöchige Rast hatte den Hunden ihre Kraft wiedergegeben, und sie waren in bester Verfassung. Die Spur, die sie so mühsam gebahnt hatten, war von den nachfolgenden Gespannen gut ausgefahren worden, auch hatte die Polizei an

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