Ruf der Wildnis
für vierzehn Hunde auf einem Schlitten mitführen kann. Sie hatten die Route auf dem Papier fein säuberlich ausgearbeitet, soviel für einen Hund, soviel Hunde, soviele Tage, und je mehr Hunde, desto schneller die Fahrt. Das war so einfach! Mercedes sah ihnen beim Plänemachen über die Schulter und nickte zustimmend.
Spät am nächsten Morgen führte Buck das lange Gespann die Straße hinauf aus dem Ort. Sein Herz war nicht bei der Sache, und genauso gleichgültig trotteten die anderen Hunde ihm nach. Er war nicht mehr der stolze, ehrgeizige Führer eines stolzen Gespanns. Viermal schon hatte Buck diesen Weg zurückgelegt, aber noch niemals so abgehetzt und so übermüdet. Die Neulinge waren furchtsam und verstört, und die alten Veteranen hatten kein Vertrauen zu ihren neuen Herren. Buck fühlte, daß er sich auf diese Männer und auf diese Frau nicht verlassen konnte. Sie verstanden nichts, konnten nichts und lernten auch nichts!
Sie waren nachlässig, träge und ohne Ordnung und Disziplin. Die halbe Nacht werkten sie, um ihr schlampiges Lager aufzubauen, und den halben Vormittag, um es wieder abzubrechen und den Schlitten zu beladen, so nachlässig, daß sie tagsüber immer wieder anhalten und die Last umpacken mußten. An manchen Tagen kamen sie nicht einmal zehn Meilen vorwärts, andere vertrödelten sie und brachen überhaupt nicht auf. Es gelang ihnen niemals, mehr als die Hälfte der Entfernung zurückzulegen, die sie als Basis für ihren Hundefuttervorrat angenommen hatten.
Kommende Hungertage waren unvermeidlich. Die Neulinge waren die schwere Arbeit noch nicht gewohnt und verlangten immer mehr zu fressen, und Hal verdoppelte ihre Rationen, um sie anzuspornen. Noch dazu fütterte Mercedes die Tiere heimlich, wenn es den Tränen in ihren hübschen Augen nicht gelang, den Männern größere Portionen für die Hunde abzuschmeicheln. Aber es war ja nicht Futter, das Buck und den Huskies fehlte. Sie brauchten Ruhe, das war alles.
Dann kam der Hunger wirklich. Eines Tages entdeckte Hal, daß das Hundefutter halb verbraucht, der Weg jedoch erst zu einem Drittel zurückgelegt war. Nirgends war zusätzlich Nahrung aufzutreiben, weder mit Geld noch mit guten Worten. Hal kürzte die Rationen und erhöhte gleichzeitig die Tagesleistung. Das erste hätten die Tiere vielleicht noch ausgehalten, das letztere ging über ihre Kräfte.
Als erster schied Dub aus. Armer, ungeschickter Dieb, stets war er erwischt und bestraft worden! Aber er hatte seine Arbeit redlich verrichtet. Niemand kümmerte sich um sein verletztes Schulterblatt, es wurde immer schlechter, und eines Tages erschoß ihn Hal mit seinem großen Revolver. Ein Sprichwort im Nordland sagt, daß ein Hund aus dem Süden bei der Ration eines Huskies an Hunger stirbt. Die sechs Neulinge in Bucks Gespann, die nun nur mehr die halbe Ration eines Huskies erhielten, waren daher bald mit ihrer Kraft am Ende. Eines Morgens fand man den Neufundländer tot am Boden liegen, ihm folgten die drei kurzhaarigen Jagdhunde, die beiden Mischlinge hielten noch eine Zeitlang aus, aber gingen endlich auch ein.
Der Norden war für die Männer und Mercedes ein Land des Zaubers, der Romantik gewesen, die rauhe Wirklichkeit zerstörte aber bald nicht nur ihre Träume, sondern auch ihre guten Sitten. Mercedes weinte nicht mehr über das Elend der Hunde, sie war zu sehr damit beschäftigt, über ihr eigenes zu weinen, sich zu bemitleiden und mit den Männern zu zanken. Mochten sie für alles andere zu müde sein, für einen Streit waren sie niemals zu müde. Ihr Elend machte sie reizbar, und je elender sie sich fühlten, um so streitsüchtiger wurden sie. Die Ruhe und Ausgeglichenheit der echten Nordleute, die harte Entbehrungen mit Geduld und Ausdauer ertragen und friedlich und hilfsbereit bleiben, war diesen Männern und dieser Frau fremd. Je mehr sie leiden mußten, um so unduldsamer wurden sie.
Sie zankten sich vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Sie warfen sich gegenseitig Faulheit und Bequemlichkeit vor. Jeder glaubte, seine eigene Leistung sei etwas ganz besonderes, und war tief beleidigt, wenn es die anderen nicht anerkannten. Mercedes stand bald auf der Seite ihres Mannes, bald auf der ihres Bruders, und einem regelrechten Familienstreit stand nichts mehr im Weg, in den auch Väter und Mütter, Vettern und Basen mit hineingezerrt wurden; auch solche, die mit ihrer gegenwärtigen Lage gar nichts, aber schon gar nichts zu tun hatten, gaben Anlaß zu nie endenden
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