Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
überfordert war. Dort angekommen legte er mich auf das Bett, schob das blutverschmierte Shirt nach oben, um nach meiner Verletzung zu sehen. Doch die Stelle, an der mich der Splitter durchbohrt hatte, war bereits verheilt.
„Pardonne-moi! Ich hätte dich warnen sollen, dass dieses Gemäuer noch immer ein paar Geister beherbergt. Unter anderem Gerards ruhelose Seele.“
„Ich habe ihre Stimmen gehört und auch einige Geister gesehen. Aber ich hätte nicht gedacht, dass mich einer von ihnen angreifen würde.“
Er streichelte beruhigend mein Gesicht. „Das werden sie auch nicht. Sie alle sind friedlich und wollen nur in Ruhe in ihrem einstigen Zuhause verweilen. Aber Gerard war schon zu Lebzeiten ein übler Zeitgenosse. Ich hätte ihn gleich bei unserer Ankunft in seine Schranken weisen sollen. Er fürchtet mich. Aber offenbar dachte er, er könne die Gelegenheit nutzen, seinen Schabernack mit dir zu treiben.“
Schabernack war stark untertrieben. „Ich hatte eher das Gefühl, dass er die Wut, die er auf dich hat, an mir auslassen wollte. Irgendwie kenne ich das Gefühl nun zur Genüge. Würdest du mich bitte vorwarnen, falls es noch weitere Racheengel gibt, die darauf warten, eine offene Rechnung mit dir an mir zu begleichen?“
Er senkte schuldbewusst den Blick. Als Sterbliche hatte ich wahrlich genug leiden müssen, war beinah gestorben, nur weil ein anderer Vampir noch Rachegelüste für ihn empfand.
„Es wird keine weiteren Angriffe mehr geben, mon amour. Je prends garde à toi. Ich passe auf dich auf. Ich werde dich mit meinem Leben beschützen. Jetzt und in alle Ewigkeit.“
Geboren in die Nacht
An meinem 25. Geburtstag erhielt ich ein ganz besonderes Geschenk. Das Geschenk der Finsternis. Das Geschenk des ewigen Lebens. Armand, mein Dunkler Vater und Geliebter, machte mich in den Katakomben unter Notre Dame zu einem Vampir. Es war mein eigener Wunsch. Ich war ihm gefolgt, damit er mir die Wahrheit über meine Vergangenheit sagte und mir das Dunkle Blut gab. Beides wurde mir gewährt.
Am Anfang meines unsterblichen Lebens gab es in mir nur Liebe für meinen Dunklen Vater und eine kindliche Faszination für alles um mich herum. Ich sah die Welt mit den Augen der Unsterblichkeit. Sie war mir nie schöner erschienen. Zerbrechlich. Schillernd. Unwirklich fast. Unendlich begehrenswert.
Ich ging unbeschwert an all die vielen neuen Gegebenheiten heran. Der todesähnliche Schlaf am Tage. Meine neuen Fähigkeiten; das Schweben, mich für Menschen unsichtbar machen, Dinge mit bloßer Willenskraft bewegen. Und nicht zuletzt die Jagd nach Menschenblut und der damit einhergehende Akt des Tötens.
Obwohl ich mich bemühte, nicht zu töten. Stattdessen begnügte ich mich damit, meine Opfer zu betören und in einen tranceähnlichen Zustand zu versetzen, damit ich trinken konnte, ohne sie gänzlich auszusaugen. Außerdem wählte ich nach Möglichkeit nur Mörder und Verbrecher. So musste ich mir selbst keine Vorwürfe machen, wenn ich einmal die Kontrolle verlieren und meinem Opfer das Leben nehmen sollte. Nachdem ich mir diese Regeln für die Jagd geschaffen hatte, konnte ich sehr gut damit leben, ohne von meinem Gewissen geplagt zu werden. Leidenschaft suchte ich nie dabei. Dafür hatte ich Armand.
Ich bin Blut von seinem Blut. Von Geburt an. Als Sterblicher ist er der Urahne meiner Mutter und meines Vaters. Zwei Zweige, die sich aus seinem Blut – seinem Sohn Justin – entwickelten, um bei mir wieder zusammenzulaufen. Justin war unehelich, doch Geld und Einfluss der Familie schenkten ihm trotz allem den Namen Toulourbet. Armands Verlobte Madeleine brachte ihn zur Welt, kurz nach der französischen Revolution. Sie starb bei seiner Geburt und schenkte einem ganzen Familienzweig das Leben, wenn man es so will. Sie und ich – wir gleichen uns wie ein Ei dem anderen. Als seien wir Zwillinge. Obwohl Jahrhunderte zwischen unser beider Leben liegen. Daher besteht auch kein Zweifel, dass ich das Bindeglied bin. Armands verlorene Tochter – sterblich wie unsterblich.
Meine Wandlung zum Bluttrinker erfolgte am 13. September 1999. Zwei Jahre nachdem Armand mich in den Schoß meiner Familie – in die Arme meines Vaters – zurückgebracht hatte. Ohne dass ich davon gewusst hätte.
Mein Vater ist Franklin Smithers, Ordensleiter des Ashera-Mutterhauses Gorlem Manor in London. Und somit gleich in doppelter Hinsicht ‚Vater’. Die ganze Wahrheit wurde mir erst während der Wandlung offenbar. Doch es hätte
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