Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
Seele, die mir meinen Frieden raubte, weil sie selbst keinen fand. Er grinste hämisch, während er eine Münze in seiner Hand auf und ab schnippen ließ.
„Kopf oder Zahl?“, fragte er unvermittelt und mit einem sehr starken französischen Akzent.
„Wie bitte?“
„Fais ton choix! Triff deine Wahl. Wenn du gewinnst, lass isch disch gehen, wenn du verlierst, bleibst du ’ier in der Zelle und dein ’eld sieht disch nie wieder.“
„Das glaube ich kaum. Du bist ein Geist. Und ich kann dich beim Namen nennen. Das bedeutet, du hast keine Macht über mich, Gerard.“
Ich brachte ihn mit meinen Worten zum Lachen. Göttin, er hatte so ein ekelhaftes Lachen, das nach Wahnsinn und Hysterie klang. Er wäre zu Lebzeiten wohl eher ein Fall für die Nervenheilanstalt gewesen. Ich konnte Armand nur Recht geben, dass er dieses Subjekt getötet hatte.
„Kopf oder Zahl? Kopf oder Zahl?“ intonierte er immer wieder, ließ die Münze springen und erhob sich von seinem Schemel, um mich lauernd zu umkreisen. Trotz meiner Überzeugung, dass er mir nichts tun konnte, machte mich sein Verhalten unruhig. Was hatte er vor? Dann war er von einer Sekunde zur anderen einfach verschwunden. Ich atmete auf. Dem Himmel sei Dank, dass der Spuk vorbei war. Doch als ich mich wieder zur Tür umdrehte, um sie zu öffnen, erhielt ich einen heftigen Schlag von hinten, der mich gegen das Gitter presste und einige Rippen knacken ließ. Schmerz und ungläubiges Entsetzen rollten in einer Welle über mich hinweg. Dieser Geist war offenbar zu mehr fähig, als ich angenommen hatte.
„Du kommst ’ier nie wieder raus, Vögelschen. Isch gewinne immer. Kopf oder Zahl?“ Er lachte hämisch.
Der nächste Stoß warf mich auf die Pritsche, die unter der Wucht zusammenbrach. Ein zwanzig Zentimeter langer Holzsplitter drang in meinen Rücken, verfehlte nur knapp mein Herz, durchbohrte stattdessen schmerzhaft meinen linken Lungenflügel, der sofort kollabierte. Ich schmeckte Blut. Das mit der Lunge war nicht lebensbedrohlich, weil ich ja keinen Sauerstoff mehr brauchte. Aber auch als Vampir hatte ich einen natürlichen Atemreflex, den ich nur schwer unterdrücken konnte, und der für Sprache und Geruchsinn auch unabdinglich war. Das Gefühl, Luft in einen nicht funktionsfähigen Lungenflügel ziehen zu wollen, war scheußlich. Ich spürte die Masse aus Lungenbläschen zittern, zucken, kämpfen, um sich wieder aufzublähen. Das vampirische Blut sammelte sich in den zerstörten Alveolen, pulsierte durch die Bronchialäste, bis das Organ nach und nach wieder anfing, seine Aufgabe zu übernehmen. Jetzt reichte es aber. Entschlossen zog ich den Splitter aus meinem Brustkorb und schleuderte ihn in die Richtung, in der ich Gerards Geist vermutete. Sein Lachen erklang direkt über mir. Ich hob den Kopf und spürte im nächsten Moment seinen ätherischen Körper, der durch mein untotes Fleisch glitt und es mit tausend winzigen Nadelspitzen traktierte. Schützend schlang ich meine Arme um den Kopf und kauerte mich auf den Boden. Das Ganze konnte doch wohl nur ein Alptraum sein. Ich mochte nicht glauben, dass mir das tatsächlich widerfuhr.
„Aufhören! Hörst du? Hör sofort auf damit. Ich habe dir überhaupt nichts getan.“
Aber schon kam die nächste Attacke von der Seite. Dieses Geschöpf schien die feste Absicht zu haben, mich all die Wut und Enttäuschung, die sich in den vergangenen hundert Jahren in ihm aufgestaut hatten, fühlen zu lassen.
„Arrête! Schluss damit!“ Die Zellentür flog auf und zerbarst krachend an der Steinmauer. Mörtel, Gesteinsbrocken und Eisensplitter rieselten gemeinsam zu Boden, als Armand mit seiner Aura den ganzen Raum ausfüllte. Drohend, mächtig, unbesiegbar. „Arrête!“, wiederholte er, die Augenbrauen zusammengezogen, sodass sich eine steile Falte dazwischen gebildet hatte. Er sah furchteinflößend aus. In seinen Augen blitzte es mordlustig, die Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst, die Hände mit den messerscharfen Fingernägeln zu Klauen gekrümmt. „Zurück in deine Höllengruft, Gerard, oder ich beweise dir, dass auch ein Geist noch körperliche Qualen leiden kann.“ Er machte einen energischen Schritt auf meinen Peiniger zu, woraufhin dieser mit einem angsterfüllten Jammerlaut durch die Steinmauer hinter der zerbrochenen Pritsche floh. Armand hob mich wortlos auf seine Arme und brachte mich zurück in unser Schlafquartier, ein kleines Häufchen Elend, das mit der Situation völlig
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