Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
überraschend gut, wieder jemanden vom Orden an meiner Seite zu haben. Ein Blick über meine Schulter ließ ihn die Augenbrauen heben. „Soll das meine Wohnung werden?“
Ich musste lachen. „Nein. Ignorier es einfach. Ich weiß auch nicht, irgendwie komme ich nicht dazu, hier wirklich einzuziehen. Deine Wohnung liegt gegenüber.“
Wir öffneten die Tür mit der Nummer 43. Hier im voll möblierten Appartement drei im vierten Stock sollte Warren während seines Aufenthaltes in Miami wohnen. Nah genug bei mir, um eine reibungslose Zusammenarbeit zu sichern, aber doch mit eigenem Raum. Wie lange er bleiben würde, stand noch nicht fest, aber wir gingen davon aus, dass es einige Wochen oder Monate dauern konnte. Darum hatte ich entschieden, dass ich ihn und Lucien besser frühzeitig miteinander bekannt machte. Und zwar nicht nur so flüchtig, wie vor zwei Jahren in London, wo Lucien ihm im Vorübergehen Pasta al Arrabiata auf den Schoß gekippt hatte. Der einstige MI5-Agent mit den kurzen schwarzen Haaren und den stahlblauen Augen hatte gemeinsam mit mir an einer Mordserie im House of Lords gearbeitet und dabei lernen müssen, dass nicht alle Mörder menschlich waren. Seine Erfahrungen bei diesem Fall und das Verhalten seiner Vorgesetzten nach dessen Abschluss hatten dazu geführt, dass er das Angebot meines Vaters annahm, dem Orden beizutreten. Jetzt war er seit fast zwei Jahren Mitglied der Ashera und Franklins rechte Hand. Ich wusste, er war für Dad wie ein Sohn – und ersetzte wohl auch ein Stückweit die verlorene Tochter. Ich würde besonders gut auf ihn aufpassen, damit ihm nichts geschah.
Warren sah sich im Apartment um und gab nickend sein Einverständnis zum Ausdruck. Dann holte er Unterlagen aus seiner Aktentasche und reichte sie mir.
„Ich soll dir das hier von Franklin geben.“
Eine Mappe mit allen Hintergrundinformationen, die der Orden bislang zusammengetragen hatte. Schon beim Überfliegen der Aufzeichnungen wurde mir klar, dass es gar nicht so einfach sein würde, da hineinzukommen. Alle waren misstrauisch, was durchaus verständlich erschien. Ein Neuling wurde genauestens gemustert und bei mir stand eine besonders gründliche Überprüfung außer Frage, denn es war allseits bekannt, dass ich einmal für den Orden gearbeitet hatte.
„Und er fragt, ob du irgendeine Nachricht über Armand hast.“
Mir fiel das Unbehagen in seiner Stimme auf. Da er mehr als nur Freundschaft für mich empfand, sah er Armands Verschwinden mit gemischten Gefühlen, aber er wusste, was er mir und Franklin bedeutete.
„Nein, die Detektei sucht weiter, aber selbst Henry verliert langsam die Hoffnung. Sobald ich etwas höre, gebe ich Franklin sofort Bescheid.“
Er nickte, wusste aber nicht so recht, was er dazu sagen sollte, deshalb machte ich es ihm leicht und wechselte das Thema.
„Lass uns noch auf einen Wein zu mir rüber gehen. Ich hab einige Flaschen zur Wahl, die sogar deinen verwöhnten Gaumen erfreuen dürften“, neckte ich ihn.
Er war in vielem wählerisch, weil er sich als Agent des britischen Geheimdienstes immer bemüht hatte, einen Mann von Welt darzustellen. Auch um vor seinen Kollegen zu bestehen. Ich hatte das anfangs als Arroganz abgestempelt, wohingegen Franklin schon viel früher hinter die Fassade geblickt hatte. Aber in der Tat wusste Warren einen guten Wein zu schätzen. Lachend begleiteteer mich in meine Wohnung, doch als die Tür offen stand, ahnten wir beide sofort, dass etwas nicht stimmte.
„Erwartest du noch Besuch?“
Warrens hochgezogenen Augenbrauen spiegelten die Frage in meinem Inneren wider. Wer hatte sich unerlaubt Zutritt verschafft und warum? Im Grunde kam nur Lucien in Frage, doch der hätte sich bemerkbar gemacht. Vorsichtig stieß ich die Tür auf und spähte hinein. Die Räume waren leer, niemand mehr da. Doch mein Blick fiel auf etwas beim Kamin, das nicht dorthin gehörte.
Ein Umschlag lag auf dem Sims. Mit einer schwarzen Lilie darauf. Wer schenkte mir eine solche Blume? Meine Kehle war trocken als ich die Blüte anhob, um das Kuvert darunter hervorzuziehen.
„Was ist das?“, fragte Warren.
Es stand kein Absender drauf. Noch bevor ich ihn öffnete, hatte ich das Gefühl, dass dieser Brief nichts Gutes in sich barg. Ein paar Bilder blitzten vor meinem inneren Auge auf. Scharfe Zähne, Reptilienaugen, Schlüssellöcher, aus denen Blut rann. Von dem Tor mit den blutenden Schlössern hatte ich oft geträumt, doch in letzter Zeit zum Glück nicht mehr. Was die
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