Ruf des Blutes 6 - Wolfspakt (German Edition)
versprechen konnte, war, dass es ihn weniger binden würde, denn dies lag in der Macht des Blutes, nicht im Willen dessen, der es gab. Doch diese Abhängigkeit bestand bereits, es hätte Franklin also nichts gekostet. Tizian hätte diese Macht nie missbraucht. Ganz anders als mein einstiger Mentor.
Doch das war nicht mehr meine Sache. Mein Vater hatte seine Wahl getroffen, und ich verurteilte weder ihn noch Lucien. Das starke Blut des Lords schenkte ihm Jugend und ein langes Leben. Sollte ich das bedauern? Wohl kaum, immerhin war er mein Vater.
Ben und er pflegten häufig Kontakt, aber eine Rückkehr in den Orden war für meinen ‚großen Bruder‘ undenkbar. Er fühlte sich wohl in Miami, nannte sich jetzt Ben Willow und arbeitete eine Weile zusammen mit Slade, einem Halfblood, bei einer Sicherheitsfirma, ehe er sich kürzlich zusammen mit ihm und Pettra selbstständig gemacht hatte. Pettra, meine Daywalker-Freundin, hatte ihm eine lückenlose Identität gegeben und ihr Geschick mit Computern gab den Ausschlag, dass die Drei nun individuelle Software-Programme schrieben, die jede übliche Firewall erblassen ließen.
Auch Steven und Thomas gehörten zum engen Freundeskreis. Ich empfand es als tröstlich, dass jene, die mir am Herzen lagen, zumindest untereinander in regem Kontakt standen, auch wenn ich nicht mehr dazugehörte. Die beiden Ärzte – einer sterblich, der andere ein Vampir – versorgten am Miami Medical nicht nur menschliche Patienten, sondern nach wie vor auch PSI-Wesen.
Von Dracon fehlte jede Spur. Er war verschwunden wie ein Schatten. Wie ein Phantom. Ob der Schmerz über Warrens Tod ihn immer noch quälte? Er hatte den jungen Agenten geliebt. Vielleicht mehr, als ihm selbst bewusst war. Oder fürchtete er den Hass seines Vaters Lucien? Ich war mir längst nicht mehr sicher, ob dieser anhielt. Aber das würde Lucien nie zugeben. Möglicherweise bildete auch die unerwiderte Liebe, die er mir entgegenbrachte, eine nicht heilende Sehnsuchtswunde in seinem Herzen. Ich wusste es nicht, aber manchmal fehlte mir mein dunkler Bruder sehr.
Auch der Dolmenwächter Blue tauchte bislang nicht mehr auf. Nachdem er genug Elektrum von mir erhalten hatte, um seine Familie zu retten, kamen er und die seinen mehr und mehr ihrer alten Aufgabe nach. Sie wachten über die Tore zwischen den Welten. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass Blue sich dann und wann unter die Menschen mischte. Er war zu lange eigene Wege gegangen. Zu sehr Draufgänger und Spieler, der den Nervenkitzel brauchte. Beneidenswert.
Ich atmete tief durch, konzentrierte mich und nahm die vielseitigen Informationen auf, die mir zugetragen wurden. Die Welt war nie ruhig, nie friedlich. Der Paranormale Untergrund hatte an Bedrohlichkeit verloren, doch noch immer gab es Gruppierungen, die den Menschen mit Hass und Ablehnung begegneten. Der Krieg war nicht endgültig abgewendet. Es reichte nach wie vor ein Funke, um das erste in einer ganzen Reihe von Pulverfässern hochgehen zu lassen. Wenn jemand ähnlich stark wurde wie Kaliste – vielleicht sogar stärker – dann gab es genügend, die er um sich scharen konnte. Davor graute mir. Es bereitete mir größere Sorge als die kleinen Reibereien zwischen den Vampiren, die zwangsläufig aufflammten, wenn die Populationsdichte irgendwo zunahm, die Alten sich belästigt fühlten. Oder wenn junge Gangs sich gegenseitig ins Revier kamen. Nichts, was für die Menschen von sonderlicher Bedeutung wäre.
Worüber wachte ich eigentlich? Über mein Volk oder doch über die Menschen? Weil ein Teil von mir noch immer zu ihnen gehören wollte.
„Ich höre es auch, ma chère“, flüsterte Armand und umarmte mich, schmiegte seinen Körper an meinen Rücken, was augenblicklich eine beruhigende Wirkung ausübte.
„Und was hältst du davon?“
„Solange sie verstreut und ohne Führung agieren, müssen wir uns keine Sorgen machen. Im Augenblick sind sie mehr eine Gefahr für sich selbst denn für andere.“
Ich nickte. Im Augenblick. Doch dies konnte von heute auf morgen anders werden.
Die stärksten PSI-Gattungen hatten alle Anführer. Der Friede mit den Menschen hing von deren Wort ab. Wenn einer von ihnen starb, wurden die Karten neu gemischt, denn nicht immer war die Erbfolge klar. Die meisten Menschengegner fanden sich unter den Gestaltwandlern und unter den Lycanern. Die Gestaltwandler entschieden über einen Rat, in dem unser Freund Alwynn einen hohen Rang bekleidete, wie wir inzwischen wussten.
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