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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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konnte ich sie nicht zu Hause herbeirufen? Ich hatte versucht, dem mit der Behauptung zu begegnen, dass meine erste Beschwörung Almas Weg gewesen war, uns in Mrs   Veaseys Kreis zu führen. Aber das klang selbst in meinen eigenen Ohren wenig überzeugend. Almas Stimme zu hören war nicht mehr Beweis genug; meine Mutter wollte sie sehen, anfassen, sie halten. Als sie von den anderen Mitgliedern erfuhr, dass es Medien gebe, die Geister sichtbar machen konnten, fragte sie in Gegenwart der anderen, warum ich sie nicht in Erscheinung treten lassen konnte. Mrs   Veasey lehnte es ab, einen Geist sichtbar zu machen. Das Kabinett einzusetzen, so verkündete sie inrechthaberischem Ton, sei ein sicheres Zeichen von Trickserei. Das war keine Auseinandersetzung, die ich mit Mama führen wollte. Ich überlegte, ihr eine Nachricht von Alma zukommen zu lassen im Sinne von «gesegnet sind die, die nicht gesehen haben und doch glauben». Aber ich zweifelte daran, dass ich damit ihrem Suchen ein Ende setzen könnte. Und so fasste ich den Entschluss, selbst eine Séance zu besuchen, bei der ein Geist sichtbar gemacht würde, in der Hoffnung, auf jemanden zu stoßen, der eine Alma hervorzaubern konnte, die für die dahinschwindende Sehkraft meiner Mutter überzeugend genug wäre.
    Mehrere Mitglieder unseres Zirkels hatten – immer außer Hörweite von Mrs   Veasey – von einer Miss Carver gesprochen, deren Sitzungen in dem Haus ihres Vaters in der Marylebone High Street stattfanden. Es hieß, Katie Carver sei sehr hübsch und könne nicht nur eine Mittlerin heraufbeschwören, einen ebenso attraktiven Geist namens Arabella Morse, sondern eine ganze Armee von ihnen. Erst nachdem ich mir die Teilnahme gesichert und eine Guinee («für wohltätige Zwecke») ausgehändigt hatte, fiel mir schlagartig ein, dass ich einen falschen Namen hätte nennen sollen. Miss Lester, die junge Frau, die das Geld genommen hatte, führte mich in ein schwach beleuchtetes Zimmer, das wie das unsere in der Lamb’s Conduit Street mit einem großen runden Tisch möbliert, zudem aber noch reich mit Teppichen ausgelegt war. Auf dem Tisch und in einem Alkoven in einer entfernten Ecke brannten Kerzen. Den Alkoven mit einer Fläche von etwa zwei mal drei Fuß trennten schwere Vorhänge, die von der Decke bis zum Boden reichten, ab. Sie waren an der Vorderseite zurückgezogen, sodass wir sehen konnten, dass nichts außer einem Stuhl in dem Alkoven war.
    Als alle Plätze besetzt waren (wir waren, glaube ich, etwa fünfzehn Personen), erschien Miss Carver selbst, woraufhin alle Männer sich erhoben und sich verbeugten. Sie war ohneZweifel hübsch. Klein und drall und blond, das Haar trug sie geflochten um den Kopf gelegt, und sie war in ein schlichtes weißes Musselin-Gewand gekleidet. Miss Lester stellte uns der Reihe nach einzeln vor. Die Anwesenden waren aufwendiger und teurer gekleidet als die Teilnehmer von Mrs   Veasey. Der einzige Name, der mir in Erinnerung blieb, ist der von Mr   Thorne, einem großgewachsenen, jungen Mann mit glattem Haar, der mir am Tisch gegenübersaß. Etwas in seinem Gesichtsausdruck – ein Hauch von sardonischem Amüsement – zog meine Aufmerksamkeit auf sich, und mir fiel auf, dass Miss Carver ihn sich sehr genau ansah, als er vorgestellt wurde.
    Ich wusste, dass in diesen Séancen das Medium im Kabinett saß. Aber ich war überrascht, als auf ein Zeichen von Miss Carver hin einige der Gentlemen (Mr   Thorne war nicht unter ihnen) sie zu dem Alkoven begleiteten und zusahen, wie Miss Lester sie mit etwas, das aussah wie ein Seidenschal, fest an den Stuhl band. Die Knoten wurden überprüft; die Herren kehrten zu ihren Plätzen zurück. Miss Lester löschte das Licht im Kabinett, zog die Vorhänge zu und bat uns, uns bei den Händen zu fassen. «Sie dürfen den Kreis nicht durchbrechen, es sei denn, ein Geist fordert Sie dazu auf» , sagte sie. «Die Erscheinungen sind eine große Anstrengung für Mrs   Carver, und sie könnte zu Schaden kommen, wenn Sie sich nicht genau an die Vorschriften halten.» Sie forderte uns auf, «O God Our Help in Ages Past» zu singen, nahm den Leuchter und verließ leise den Raum, sodass wir in vollkommener Dunkelheit verblieben.
    Wir hatten vielleicht ein halbes Dutzend Kirchenlieder gesungen, angeführt von einer lauten Bariton-Stimme irgendwo zu meiner Rechten, als ich eines schwachen Glimmens vom Kabinett her gewahr wurde. Das Glimmen weitete sich zu einem leuchtenden Kreis aus, der gleich einem

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