Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!
vorstellen, wenn ich nicht weiß, wie der Typ heißt! »Ihr kennt euch ja sicher, Kinder«, sage ich lässig und laufe erst mal weiter.
»Wie geht es Ihnen, Paprika?«, ruft mir eine madamige Alte mit Federboa zu.
Ich rufe zurück: »Super! Ich habe Krebs im Endstadium!«
»Das freut mich aber! Wir sehn uns bestimmt später noch«, flötet Federboa und rauscht vorbei. Rolf Eden zerrt altersstarrsinnig einem Mädchen das Feuerzeug aus der Hand, um ihm Feuer zu geben.
»Meine Lieeebe«, brüllt Romy Haag, spitzt den Mund und macht schon von weitem dieses bedrohliche »Mmm«, mit dem sich Party-Küsschen ankündigen, um dann in einem hohlen Plop auf jedermanns Wange zu enden. In diesem Fall auf meiner. »Vorsicht, mein Hut!«, sage ich.
»Riesenparty«, sagt Romy.
»Nur nichts Fickbares«, sagt Dietrich. Der Reihe nach! Ich muss jetzt erst mal nach vorn und diese blöde Rede halten. Man kann sagen, was man will. Hört sowieso keiner zu. Der Trick: Forsch gucken, forsch fuchteln, laut und präzise sprechen, aber nur Quark, wie Hitler. Also, Mikrotest, räuspern, los: Fünfte Aids-Gala. Es geht den Menschen wie den Leuten! Soundso viel Tote jährlich. Was weg ist, brummt nicht mehr! Spenden. Man gönnt sich ja sonst nichts. Sponsoren. Firma dankt! Künstler treten ohne Honorar auf, Verona Feldbusch sogar ohneSchlüpfer. Erlaubt ist, was gefällt. Das wissen die wenigsten. Ein froher Gast ist keine Last. Das Auge isst mit. Büfett eröffnet, jetzt singt Max Raabe – gibt gleich ’n Satz heiße Öhrchen! Rauschender Beifall.
Mitternacht. Dass Dietrich nach der Gala ausgerechnet mit mir ins »Sunny side up« wollte, ist kein Zeichen von persönlicher Wertschätzung. Vielmehr weiß er, dass ich für diesen verkoksten Touri-Schuppen eine VIP-Card mit dem Vermerk »Champagner ohne Ende« besitze.
Jetzt stehen wir völlig overdressed im blauen Licht, das tödlich ist für Jacketkronen und Falschgeld. Ein hypermoderner Tanzschuppen auf drei Ebenen, 1400 Quadratmeter groß.
Ich verliere schnell den Überblick und rufe gähnend meine SMS ab. Dietrich nimmt eine Blume aus der Tischvase, schnuppert daran und sagt versonnen: »So roch der Sommer, als ich noch ein Kind war.«
»Die ist aus Plastik, Einstein! Such lieber!«
»Heiliger Strohsack!«, murmelt Dietrich plötzlich, deutet eine Bekreuzigung an und zeigt nach vorn. »Schließt die Tore, verdoppelt die Wachen …«
Wir starren auf das reizende Kind, ein Reh mit dunklen Locken, und machen High Five. Sie trägt Jeans mit SSL – sichtbarer Sliplinie – und einen weißen ärmellosen Rolli. Dietrich grinst, ich grinse, sie grinst zurück. Vielleicht hält sie uns ja für Scouts.
»Sie ist zu jung, Paprika«, sagt Dietrich und kratzt sich ratlos am Kopf: »Ich bin ja nun wirklich kein Kind von Traurigkeit, aber man muss doch die Kirche im Dorf lassen!«
Eine halbe Stunde lang höre ich mir Dietrichs dusselige Ausflüchte an. Wie die meisten Intellektuellen geht er, was Frauen betrifft, ausgesprochen stupide vor. Amnächsten Morgen komme immer das böse Erwachen, sagt er. Ihm sei das Hemd näher als die Hose. Er sei auch nicht päpstlicher als der Papst. Und dass sie bestimmt Slipeinlagen trägt. Oder Wochentage-Unterwäsche. Und wahrscheinlich einen Kringel über das »i« macht.
Ich muss mal. Ich habe Kopfschmerzen. Ich brauche Aspirin. Und Valium. Er soll nicht labern, er soll endlich zu Potte kommen! »Jetzt bleib mal locker im Schlüpfer und mach die Grätsche an!« Sie lächelt immer noch. Ich kralle meine Handschuhe in Dietrichs Brust und schubse ihn. »Los!«
Er murrt. »Nasagmal, das Seidenhemd war teuer!« Dann schnappt er sich eine Pulle Dom Pérignon und geht zögerlich auf sie zu. Sie sieht ihn mit großen Augen an, wirft keck den Kopf zurück, macht Grübchen.
Ich schiebe mich näher ran und höre, wie Dietrich sagt, dass er sie am liebsten sofort auf die Mondoberfläche werfen und mit ihr intergalaktische Perversionen machen wolle. Das hat er bei Woody Allen geklaut, dieser Schmock! Aber die Kleine kennt den
Stadtneurotiker
nicht. Oder war es
Manhattan
? Sie wird tiefrot und murmelt irgendwas. Da kommt Dietrich auch schon zurück, winkt ab.
»Vergiss es! Sie ist erst 14 Jahre! Heute ist ihr Geburtstag.«
Auf dem Heimweg brabbelt er allerlei sexuelle Grobheiten vor sich hin. Um ihn zu beruhigen, erzähle ich ihm ein Märchen. Es handelt von der Defloration des schönen Kindes. In orientalischen Gemächern an geschwungenen Opiumpfeifen schmauchend,
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