Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!
anderen schlagen mir allerlei Gerüche in die Nase, um die ich nicht gebeten hatte: Frisch aufgebohrtes Amalgam, Bulettendunst und ein Plagiat des neuen Eau de Toilette von Joop. Vor so viel Distanzlosigkeit weiche ich ins Innere meiner Wohnung zurück. Dabei stoße ich meinen neuen Queen-Mum-Teller vom Tisch, den ich erst vor wenigen Monaten bei Sotheby’s in London ersteigert habe.
Kitty hilft, die Scherben aufzulesen, und wirft dabei einen Blick auf meinen lautlos flimmernden Fernseher. Sie repräsentiert die 64 Prozent aller Deutschen, die es unhöflich finden, wenn der Fernseher weiterläuft, obwohl Besuch gekommen ist. Ich dagegen repräsentiere die 99,9 Prozent, die es unhöflich finden, wenn Besuch beim Fernsehen stört.
»Mann, was haste denn gemacht die ganzen Jahre?«, fragt sie.
»Ich bin früh schlafen gegangen«, sage ich.
Ich bin eine lausige Gastgeberin, und ich bin es gern. Aber Kitty scheint sich trotzdem wohl zu fühlen. Sie setzt sich hin und raucht und quasselt und raucht und quasselt.
»Mich kannste in’n Sack stecken und mit’m Knüppelraufhaun: Ich quatsche immer noch!«, erklärt sie leidgestählt.
Ich sinke langsam im Ohrensessel zusammen. Die Lehne des Sessels wird immer größer, ich selbst immer kleiner. Wie eingelaufen. Gefangen in der Endlosschleife ihrer provinziellen Erlebniswelt.
Erst zähle ich, wie oft sie »irgendwie« sagt. Sie sei irgendwie beim Arbeitsamt gewesen. Eins. Ein toller Kurs:
»Wie schminke ich mich richtig fürs Bewerbungsgespräch«. Dann beim Zahnarzt. Eine alte Plombe raus, eine neue irgendwie rein. Zwei. »Dafür hat er so ’n Spray genommen, das das Quecksilber im Amalgam neutralisiert: DPMS, kann sein, dass ich irgendwie die Buchstaben verwechsle, aber drin sind sie alle!« Drei. Der Tino habe sie irgendwie abgeholt! Vier. Der Tino! Als bedürften Vornamen eines Artikels außer zur genauen Geschlechtsbestimmung in Grenzfällen wie Ulli und Conny. Der Tino sei ein alter Kumpel. Mit dem war sie dann Buletten essen. Aber lieben tut sie irgendwie den Horst. Fünf. Der jobbt auch bei Burgerking. Neulich war sie mit dem Horst tanzen, danach zu ihr, »gemacht und getan«, irgendwie Sex und so. Sechs. Das Zählen schnarcht mich an. Ich überlege, wie ich aus dieser Nummer wieder rauskomme, greife mir mein formschönes Panasonic-Handy und simse sinnlos in der Welt herum. Verkupple ich Kitty mit Dietrich oder lasse ich sie gleich von Robert filetieren und süßsauer einlegen? Wir seufzen synchron: Kitty unter der Last des nicht Gesagten, ich unter der Last des Gesagten.
Dass Kitty sich über die blank geleckten Salzstangen hermacht, die immer noch in einem Glas auf dem Tisch stehen, hebt meine Laune für einen kurzen Moment. Sie hat also, erzählt sie mampfend, nach der Nacht mitHorst versucht, nicht verliebt zu gucken und nichts von Beziehung zu sagen. Obwohl das schwer war, weil sie verliebt ist in den Horst, und wie! Irgendwie!
»Morgens musste er gleich los zur Arbeit. Dann habe ich mich im Bett geräkelt und gesagt … Also, ich habe gesagt … ähm: Warum bleibst du nicht zum Frühstück, und wir ficken noch ’n bisschen!« Sie zerquetscht eine Träne im Augenwinkel, und in ihrer Stimme ist ein kleines Tremolo. »Du hast mir das ja selbst mal geraten.«
Schade, dass ich ihr nicht geraten habe, dem Horst einen Liebestrank aus Froschzungen, Bullenhoden und Vogelaugen zu mixen! Oder gleich Harakiri zu machen!
Kitty fährt fort mit ihrem Wehmutsparlando. »Du hast gesagt, die Männer wünschen sich tief in ihrem Inneren eine Frau, die nur Sex will und das auch … hmmm … sagt, also irgendwie direkt. Aber weißt du, was er geantwortet hat?« Sie holt im Weinkrampf ruckartig Luft. »Er hat gesagt … er hat gesagt …« Dann lautes Trompeten. Die Frau macht mich krank! Kann die nicht woanders heulen? Erst macht sie meinen Queen-Mum-Teller kaputt, dann qualmt sie alles voll, und jetzt rotzt sie auch noch in meine Tischserviette von Laura Ashley. »Ja, was denn nu?«
»Er hat gesagt: ›Ich bin doch keine Fickmaschine!‹ Und dann isser weg!«
Man steckt eben nicht drin! Ich würde Kitty ja trösten, wenn ich mich zu Trost imstande und berufen fühlte und wenn ich nicht gleichzeitig
Seinfeld
folgen müsste, der lautlos im Hintergrund läuft. Seinfelds Freund George wird von einem Mann massiert, und dabei bewegt sich sein Schwanz. Jetzt fürchtet er, schwul zu sein. Seinfeld versucht, George zu beruhigen, aber ich kann nicht hören, was er sagt, weil
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