Ruf mich bei Deinem Namen
Sizilien, nicht hier, dürfte aber der beste italienische Roman dieses Jahrhunderts sein.« »Wir haben den Film gesehen«, sagte die Frau. »Aber ist
er so gut wie Calvino?« Ich zuckte die Schultern. Marzia konnte sich von dem Gedicht gar nicht trennen, sie las es noch einmal. »Calvino ist gar nichts dagegen – Tand und
Tinnef. Aber was rede ich da, ich bin schließlich nur ein grüner Junge.«
Zwei junge Erwachsene in modisch sommerlichen Sportsakkos und ohne Krawatte diskutierten mit dem Buchhändler Literarisches, alle drei rauchten. Auf dem Tisch neben der Kasse standen
Weingläser, die meisten leer, daneben eine große Flasche Port. Die Touristen hatten ebenfalls leere Gläser in der Hand. Der Besitzer sah zu uns hinüber und fragte mit einem
stummen Blick, der für die Störung um Verzeihung bat, ob wir auch gern Port hätten. Ich guckte Marzia an und zuckte die Schultern. Sieht nicht so aus, sollte das heißen. Der
Besitzer deutete, noch immer stumm, auf die Flasche und schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf. Schade um den guten Port, übersetzte ich das, helft mir lieber, ihn vor
Ladenschluss auszutrinken. Ich ließ mich schließlich überreden und Marzia auch. Aus Höflichkeit fragte ich, welches Buch heute denn gefeiert wurde. Ein Mann, den ich noch
nicht bemerkt hatte, weil er in dem winzigen Alkoven gestanden und gelesen hatte, nannte den Titel: Se l’amore. Wenn die Liebe . »Gut?«, fragte ich.
»Absoluter Schrott. Ich muss es wissen. Es ist von mir.«
Ich beneidete ihn. Um die Lesung, die Party, die Freunde und aficionados, die aus der Umgebung gekommen waren, um ihn in dieser kleinen Buchhandlung an unserer
kleinen Piazzetta in dieser kleinen Stadt zu feiern. Sie hatten mehr als fünfzig leere Gläser hinterlassen. Ich beneidete ihn um das Vorrecht, sich selbst herabzusetzen.
»Würden Sie mir in ein Exemplar eine Widmung schreiben?«
»Con piacere.« Ehe der Buchhändler ihm einen Filzschreiber reichen konnte, hatte der Autor schon seinen Pelikanfüller gezückt.
»Ich weiß nicht, ob das Buch etwas für Sie ist, aber …« Er ließ den Satz in einer Mischung aus biederster Demut und einem Anflug gespielter Großtuerei
ausklingen. Sie haben mich gebeten zu signieren, sollte das wohl heißen, und ich spiele nur zu gern die Rolle des berühmten Dichters,
der ich, wie wir beide wissen, nicht bin .
Ich kaufte ein zweites Exemplar für Marzia und bat ihn auch für sie um eine Widmung, was er bereitwillig tat – mit einem ellenlangen Schnörkel hinter seinem Namen.
»Ich weiß nicht, ob es etwas für Sie ist, Signorina, aber …«
Auch diesmal bat ich den Buchhändler, die beiden Bände meinem Vater in Rechnung zu stellen.
Während wir an der Kasse standen und ihm zusahen, wie er umständlich beide Bände in gelbes Glanzpapier hüllte, mit einem Band umwand und auf das Band den silbernen Sticker
seines Geschäfts klebte, schob ich mich an sie heran und gab ihr – vielleicht nur, weil sie mir so nah war – einen Kuss hinters Ohr.
Mir schien, dass sie eine Gänsehaut bekam, aber sie bewegte sich nicht. Ich küsste sie nochmals, dann nahm ich mich zusammen und flüsterte: »War dir das unangenehm?«
»Natürlich nicht«, flüsterte sie zurück.
Draußen konnte sie nicht mehr an sich halten. »Warum hast du mir das Buch gekauft?«
Ich hätte eher eine Frage nach dem Kuss erwartet.
» Perché mi andava, weil ich Lust dazu hatte.«
»Ja, aber warum mir? Warum kaufst du ausgerechnet mir ein Buch?«
»Ich verstehe deine Frage nicht.«
»Jeder Trottel würde die Frage verstehen, nur du nicht. Typisch.«
»Ich komme immer noch nicht mit.«
»Du bist hoffnungslos.«
Ich sah sie groß an, völlig verblüfft von ihrem zornig gereizten Ton.
»Wenn du es mir nicht sagst, bilde ich mir noch alles mögliche ein und fühle mich scheußlich.«
»Du bist ein Esel. Gib mir eine Zigarette.«
Natürlich ahnte ich sehr wohl, worauf sie hinauswollte, aber ich konnte nicht glauben, dass sie mich so klar durchschaut hatte. Vielleicht wollte ich das, was sie andeutete, auch nicht
glauben, weil ich Angst hatte, mich für mein Betragen verantworten zu müssen. Hatte ich absichtlich den Naiven gespielt? Konnte ich das, was sie sagte, weiterhin missdeuten, ohne mich
selbst zu belügen?
Dann kam mir eine geniale Erkenntnis. Vielleicht hatte ich ihre Signale absichtlich ignoriert, um sie aus der Reserve zu locken. So etwas nennen die Schüchternen und Untüchtigen
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