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Ruf mich bei Deinem Namen

Ruf mich bei Deinem Namen

Titel: Ruf mich bei Deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Aciman
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einen Blick für mich. »Das alles wird mir fehlen, Mrs. P.«, sagte er, mit
glänzendem Haar nach dem vorabendlichen Duschen, jeder Zoll der strahlende »muvi star«. Meine Mutter lächelte. Der muvi star war
jederzeit – enni taim  – willkommen. Dann machte er den gewohnten kurzen Gang mit Vimini, um ihr bei der Suche nach ihrem
Lieblingschamäleon zu helfen. Ich habe nie ganz begriffen, was die beiden aneinander fanden, aber ihre Beziehung schien mir sehr viel natürlicher und spontaner als das, was ihn und mich
verband. Eine halbe Stunde später waren sie wieder da. Vimini war auf einen Feigenbaum geklettert, und ihre Mutter sagte, sie solle sich vor dem Abendessen waschen.
    Beim Abendessen – kein Wort. Danach verschwand er nach oben.
    Ich hätte schwören können, dass er sich gegen zehn unauffällig abgesetzt hatte und in die Stadt gegangen war, aber von seinem Ende des Balkons kam Licht, ein matt leuchtendes
orangefarbenes Schrägband, das bis zu meiner Tür reichte. Von Zeit zu Zeit hörte ich Bewegungen von nebenan.
    Ich gab mir einen Ruck und rief einen Freund an, um zu fragen, ob er in die Stadt wolle. Er sei schon weg, sagte seine Mutter, ja, wohl im üblichen Lokal. Ich versuchte es bei einem
anderen. Auch der war schon unterwegs. »Warum meldest du dich nicht bei Marzia?«, fragte mein Vater. »Gehst du ihr aus dem Weg?« Das nicht gerade, aber sie sei so
kompliziert, antwortete ich. »Ach, und du nicht?«, kam es trocken zurück. Sie habe keine Lust zum Weggehen, sagte Marzia, als ich sie anrief. Ihre Stimme war belegt und dunkel. Ich
wollte mich entschuldigen, sagte ich. »Du warst krank?« Nichts Ernstes. Ich würde mit dem Rad kommen und sie abholen, dann könnten wir zusammen nach B. fahren.
»Schön«, meinte sie schließlich. »Ich komme mit.«
    Meine Eltern saßen vor dem Fernseher, als ich ging. Ich hörte meine Schritte auf dem Kies, kein störendes, ein eher geselliges Geräusch. Auch er würde es
hören.
    Marzia saß mit lang ausgestreckten Beinen auf einem gusseisernen Gartensessel, nur die Fersen berührten den Boden. An einem zweiten Sessel lehnte halb trunken ihr Rad. Sie hatte einen
Pullover an. Du hast mich lang warten lassen, sagte sie. Wir nahmen eine Abkürzung, die uns – steiler als der normale Weg – ruckzuck in die Stadt brachte. Die Lichter und
Laute des lebhaften Nachtlebens schwappten von der Piazzetta in die Nebenstraßen über. In einem Restaurant holten sie, wenn die Gäste auf dem Platz selbst nicht mehr unterkamen,
kleine Holztische aus dem Gastraum und stellte sie auf den Gehsteig. Bei diesem Getriebe und Getümmel meldeten sich bei mir immer Unbehagen und ein Gefühl des Ungenügens. Marzia
würde Freunde treffen, der eine oder andere würde uns aufziehen. Schon, dass ich mit ihr zusammen war, würde mich herausfordern. Ich wollte nicht herausgefordert werden.
    Statt uns zu Bekannten in eins der Cafés zu setzen, stellten wir uns in die Schlange vor der Eisdiele. Sie wollte auch Zigaretten kaufen.
    Mit unseren Eistüten schoben wir uns gemächlich durch das Gewimmel auf der Piazzetta, schlängelten uns durch eine Straße, durch die nächste und noch eine. Schön
war das, wie das Kopfsteinpflaster in der Dunkelheit glänzte, wie wir lässig unsere Räder durch die Stadt führten, das gedämpfte Geplapper der Fernseher aus geöffneten
Fenstern im Ohr. Die Buchhandlung war noch geöffnet. Hast du was dagegen, fragte ich. Nein, gar nichts, ich komme mit. Wir lehnten unsere Räder an die Hauswand. Hinter dem Fliegenvorhang
mit den Perlen öffnete sich ein muffig verräucherter Raum, in dem viele überquellende Aschenbecher herumstanden. Er wolle bald schließen, sagte der Besitzer, aber das
Schubert-Quartett lief noch, und ein Touristenpärchen Mitte zwanzig stöberte in der Abteilung für englischsprachige Bücher, wahrscheinlich auf der Suche nach einem Roman mit
Lokalkolorit. Was für ein Unterschied zu jenem Vormittag, als kein Mensch dagewesen und der sonnendurchflutete Laden nach frisch gebrühtem Kaffee gerochen hatte. Marzia sah mir über
die Schulter, als ich nach einem der Gedichtbände griff, die auf dem Tisch lagen, und zu lesen begann. Ich wollte schon umblättern, als sie sagte, sie sei noch nicht fertig. Das gefiel
mir. Als ich sah, dass das Paar neben uns einen italienischen Roman in englischer Übersetzung kaufen wollte, unterbrach ich das Gespräch und riet ihnen ab. »Hier, das ist viel, viel
besser. Es spielt in

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