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Ruf mich bei Deinem Namen

Ruf mich bei Deinem Namen

Titel: Ruf mich bei Deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Aciman
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auch, wie ein scheinbar so verletzliches, zögerliches Mädchen, das so bereitwillig so viele eigene Unzulänglichkeiten gestehen konnte, es
fertigbrachte, mir gleichzeitig mit dreister Bedenkenlosigkeit in die Hose zu greifen.
    Während ich sie jetzt leidenschaftlicher küsste und unsere Hände ausgiebig den Körper des anderen erforschten, ertappte ich mich dabei, wie ich den Text der Nachricht
verfasste, die ich abends unter seiner Tür durchschieben wollte: Ertrage das Schweigen nicht mehr muss mit dir sprechen .
    Bis ich so weit war, den Zettel unter seiner Tür durchzuschieben, dämmerte schon der Morgen. Marzia und ich hatten uns an einer verlassenen Stelle am Strand geliebt,
einem Platz, der den Spitznamen Aquarium hatte und an dem sich die Kondome der Nacht sammelten und zwischen den Felsen dahintrieben wie Lachse in Wasser, das keinen Abfluss hat. Wir hatten
verabredet, uns später am Tag wieder zu treffen.
    Auf dem Heimweg freute ich mich über ihren Geruch an meinem Körper, an meinen Händen. Ich würde ihn nicht abwaschen, würde ihn behalten, bis wir uns abends wiedersahen.
Ein Teil von mir genoss noch diese neue wohltuende Welle von Gleichgültigkeit, ja Widerwillen gegenüber Oliver, die mir aber gleichzeitig bewies, wie wankelmütig ich letztlich war.
Vielleicht spürte er, dass ich mit ihm nur hatte schlafen wollen, um mich ein für allemal von ihm zu befreien, und hatte instinktiv beschlossen, sich nicht auf mich einzulassen. Kaum zu
glauben, dass ich mich vor wenigen Nächten so heftig danach gesehnt hatte, eins mit seinem Körper zu werden, dass ich drauf und dran gewesen war, aus dem Bett zu springen und zu ihm zu
gehen. Jetzt ließ diese Vorstellung mich kalt. Vielleicht war die Sache mit Oliver nur ein Anfall von Hundstagshitze gewesen, und ich konnte froh sein, dass ich ihn überstanden hatte.
Jetzt brauchte ich nur Marzia an meiner Hand zu riechen, um jede Frau wegen ihres Frauseins zu lieben.
    Ich wusste, dass diese Stimmung nicht lange anhalten würde, dass es mir ging wie allen Süchtigen: Unmittelbar nach dem letzten Schuss fällt es leicht, der Sucht
abzuschwören.
    Kaum eine Stunde später kehrte Oliver au galop zu mir zurück. Bei ihm im Bett zu sitzen, ihm meine Handfläche hinzustrecken und
zu sagen, hier, riech mal, und dann zu sehen, wie er an meiner Hand schnupperte, sie behutsam in seinen beiden Händen hielt, schließlich meinen Mittelfinger an die Lippen legte und ihn
plötzlich ganz in den Mund nahm …
    Ich riss eine Seite aus einem Schulheft.
    Bitte weich mir nicht aus .
    Änderte es ab in:
    Bitte weich mir nicht aus. Es bringt mich um .
    Änderte es erneut in:
    Dein Schweigen bringt mich um .
    Viel zu überspannt.
    Kann den Gedanken nicht ertragen, dass du mich hasst.
    Zu kläglich. Weniger larmoyant, aber das abgedroschene Gerede vom Sterben darf schon sein:
    Ich würde lieber sterben als wissen, dass du mich hasst.
    In letzter Minute kam ich zu meiner ursprünglichen Fassung zurück.
    Ertrage das Schweigen nicht mehr muss mit dir sprechen.
    Ich faltete das liniierte Blatt und schob es mit der angstvollen Ergebung eines Caesar, der den Rubikon überschreitet, unter seiner Tür durch. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Iacta alea est , hatte Caesar gesagt, der Würfel ist gefallen. Ich überlegte belustigt, dass das Verb »werfen«, iacere auf Lateinisch, dieselbe
Wurzel hat wie das Verb »ejakulieren«. Kaum war der Gedanke gedacht, wurde mir klar, dass ich nicht nur ihren Geruch an meinen Fingern mitbringen wollte, sondern auch – an
meiner Hand getrocknet – die Spuren meines Samens.
    Nach eine Viertelstunde wusste ich nicht, was ich heftiger bereuen sollte – die Botschaft selbst oder die Tatsache, dass sie auch nicht den leisesten Hauch von Ironie enthielt.
    Als er nach dem Joggen endlich zum Frühstück kam, fragte er mich nur, ohne den Kopf zu heben, ob ich gestern Abend Spaß gehabt hätte – ein diskreter Hinweis
darauf, dass ich wohl sehr spät ins Bett gekommen war. » Insomma, so lala«, antwortete ich möglichst unverbindlich – eine
Kürzestfassung, die andeuten sollte, dass ein ausführlicher Bericht viel zu lang ausgefallen wäre. »Da musst du ja müde sein«, bemerkte mein Vater ironisch.
»Oder hast du auch Poker gespielt?« »Ich pokere nicht.« Mein Vater und Oliver wechselten vielsagende Blicke, dann fingen sie an, die für diesen Tag anstehenden Arbeiten
zu besprechen, und ich hatte ihn verloren. Wieder ein Tag, an dem ich

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