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Ruf mich bei Deinem Namen

Ruf mich bei Deinem Namen

Titel: Ruf mich bei Deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Aciman
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sein Buch, das in England, in Frankreich, in Deutschland schon erschienen war und jetzt endlich in Italien herauskommen sollte. Es war ein Prachtband,
und wir freuten uns alle sehr für ihn, auch der Buchhändler in B., der versprach, im nächsten Sommer eine Buchpräsentation zu organisieren. »Warten wir’s ab«,
sagte Oliver, nachdem wir mit den Rädern dort vorbeigeschaut hatten. Die Eisdiele machte Winterpause, auch das Blumengeschäft war geschlossen, ebenso die Apotheke, bei der wir gehalten
hatten, nachdem er mir an Monets Malplatz seine bösen Schrammen gezeigt hatte. All das schien zu einem anderen Leben zu gehören. Die Stadt wirkte leer, der Himmel war grau. Eines Abends
hatte er ein langes Gespräch mit meinem Vater. Vermutlich sprachen sie über mich oder meine Aussichten fürs College oder den vergangenen Sommer oder sein neues Buch. Als die Tür
aufging, hörte ich unten Gelächter, meine Mutter hatte ihm einen Kuss gegeben. Dann klopfte es – aber nicht an meine Balkontür, dieser Zugang war demnach auf Dauer tabu.
»Wollen wir reden?« Ich war schon im Bett. Er hatte sich einen Pullover übergezogen, als wollte er an die frische Luft. Er setzte sich auf die Bettkante und wirkte so befangen, wie
ich ihm bei jenem ersten Mal vorgekommen sein muss, als dies sein Zimmer gewesen war. »Kann sein, dass ich im Frühjahr heirate«, sagte er. Ich war wie vor den Kopf geschlagen.
»Aber davon hast du nie was gesagt!« »Es ging eben seit zwei Jahren immer hin und her.« »Das ist ja wunderbar«, sagte ich. Wenn zwei heiraten, ist das immer
wunderbar, und mein strahlendes Lächeln war echt, auch wenn mir kurz danach aufging, dass die Nachricht für uns nichts Gutes bedeuten konnte. »Macht es dir was aus?«
»Sei nicht albern«, sagte ich. Lange Pause. »Kommst du ins Bett?« Er sah mich zaudernd an. »Ganz kurz. Aber nicht, um irgendwas zu machen.« Es klang wie eine
modernisierte, elegantere Version von »Später vielleicht«. So weit waren wir also schon wieder? Die Versuchung war groß, ihn nachzuäffen, aber ich hielt mich
zurück. Er legte sich – mit Pullover – neben mich auf die Decke. Nur die Schuhe hatte er ausgezogen. »Wie lange wird das gehen, was meinst du?«, fragte er
ironisch. »Nicht lange hoffentlich.« Er küsste mich auf den Mund, aber nicht wie nach dem Pasquino, als er mich auf der Via Santa Maria dell’Anima so heftig gegen die Wand
gedrückt hatte. Ich erkannte den Geschmack sofort und begriff erst in diesem Augenblick, wie sehr ich ihn mochte, wie sehr er mir gefehlt hatte. Noch ein Posten für die Checkliste von
Dingen, die mir fehlen würden, ehe ich ihn endgültig verlor. Ich wollte unter der Decke hervorkommen, aber da sprang er schon auf. »Ich kann das nicht«, sagte er. »Ich
schon«, gab ich zurück. »Ja, aber ich kann es nicht.« Mein Blick muss Funken gesprüht haben, denn plötzlich begriff er, wie böse ich war. »Ich
könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als dich auszuziehen und dich zumindest im Arm zu halten. Aber ich kann nicht.« Ich legte die Arme um seinen Kopf und hielt ihn fest.
»Dann ist es vielleicht besser, wenn du nicht bleibst. Sie wissen Bescheid.« »Das dachte ich mir.« »Wie bist du drauf gekommen?« »Durch das, was dein Vater
gesagt hat. Du hast Glück. Mein Vater hätte dafür gesorgt, dass ich in den Knast komme.« Ich sah ihn an. Einen Kuss wollte ich noch haben …
    Ich hätte ihn mir nehmen können, nehmen sollen.
    Am nächsten Morgen und an den restlichen Tagen war der Ton steif und frostig.
    Eine Sache klärte sich dann doch noch in jener Woche. Wir saßen nach dem Lunch im Wohnzimmer beim Kaffee, als mein Vater einen großen Ordner herausholte, in dem sechs
Bewerbungen mit Passfoto abgelegt waren. Mein Vater wollte Olivers Meinung hören, dann gab er den Ordner an meine Mutter, an mich und einen Professor weiter, der mit seiner Frau zum Lunch
gekommen war, einen Hochschulkollegen, der uns schon im vergangenen Jahr aus dem gleichen Grund besucht hatte. »Mein Nachfolger.« Oliver griff eine Bewerbung heraus und ließ sie
herumgehen. Mein Vater sah instinktiv in meine Richtung und rasch wieder weg.
    Genau dasselbe war fast auf den Tag vor einem Jahr passiert. Pavel, Maynards Nachfolger, hatte uns über Weihnachten besucht und sich nach Durchsicht der Bewerbungen für einen jungen
Mann aus Chicago stark gemacht, einen sehr guten Freund. Für einen anderen, einen jungen Postdoktoranden, der an der Columbia

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