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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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Bank erwachte, tat ihm alles weh, der Kopf, die Hüfte, das Kreuz, er schaffte es kaum, in die gerade eingefahrene Bahn einzusteigen, und als er das nächste Mal aufwachte, fand er sich in einer Bude wieder, die er nicht kannte, den Kopf auf den Schuhen von Zeppelin. Seine Kehle schmerzte vor Trockenheit. Und in seinem Schädel waberte das Gehirn so stark hin und her, dass er auf dem Weg zum Bad fast das Gleichgewicht verlor.
    Am Nachmittag gingen sie zu McDonald’s. Jetzt waren es noch ein paar mehr. Zwei Hools waren dabei, Freunde von Zeppelin, etwas verpeilte Typen, die unnötig Lärm machten, sodass sie irgendwann bei McDonald’s rausflogen und zum nächsten McDonald’s gingen, bis sie endlich gegen sechs wieder in den Club fuhren, zur Afterhour, wo dann im Wesentlichen wieder dasselbe passierte wie tags zuvor, nur dass Markus es dieses Mal, er wusste nicht wie, nach Großkrienitz schaffte, wo er am Sonntagmittag in seinem Zimmer aufwachte, genauer gesagt, geweckt wurde, nämlich von Muddel, die gerade vom Gottesdienst kam.
    Er duschte lange, nahm zwei Aspirin, haute seine säuerlich-schweißig-rauchig-modrig riechenden Klamotten, in denen er geschlafen hatte, in den Wäschekorb und erschien in der großen, bei der Renovierung noch um das Doppelte vergrößerten Wohnküche, wo Muddel und Klaus schon kochten (das heißt Klaus kochte, und sie durfte irgendwas schnippeln), und erst jetzt, als Muddel ihm zwei Zwiebeln und ein Messer in die Hand drückte, fiel ihm der Brief wieder ein, der noch immer in der Gesäßtasche der Hose steckte, die jetzt im Wäschekorb lag.
    – Ich hab was vergessen, sagte Markus und ging nochmal ins Bad, um den schon etwas ramponierten und zerknitterten Brief aus der Hose zu ziehen.
    – Das ist noch gekommen, sagte er und übergab den Brief Muddel.
    Muddel legte das Messer aus der Hand, wischte sich die Hände an der Schürze ab, bevor sie den Brief öffnete.
    – Ach Gott, sagte sie.
    Jetzt beugte sich auch Klaus über den Brief. Muddel warf ihm einen fragenden Blick zu, den Klaus nicht erwiderte. Plötzlich kapierte Markus, dass jemand gestorben war.
    Muddel gab ihm den Brief, genauer gesagt, die inliegende, ebenfalls schwarzumrandete Postkarte, auf deren Vorderseite nichts weiter stand als:
     
    Irina Umnitzer
    7. August 1927   –   1. November 1995
     
    Muddel schaute ihn an, er wusste nicht, was sie jetzt erwartete. Er hatte Oma Irina schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen, und das letzte Mal, als er seine Großeltern besucht hatte, war sie stockbesoffen gewesen und hatte die ganze Zeit geheult und behauptet, sie heule nicht, und ihm am Hals gehangen und ihn andauernd mit «Sascha» angeredet. Danach war er nicht mehr da gewesen. Und jetzt … Markus schaute den Namen an, der da stand und der zur Hälfte sein eigener Name war. Er schaute den Namen an, und alles andere ringsumher war für einige Augenblicke irgendwie weg, und ihm war ein bisschen übel, aber vielleicht auch von gestern abend.
    Er gab Muddel die Karte zurück. Muddel drehte die Karte um, setzte sich, las die Rückseite und sagte zu Klaus:
    – Am Freitag ist die Beerdigung. Goethestraße.
    Wieder sah sie Klaus fragend an.
    – Also, ich gehe da auf keinen Fall hin, sagte Klaus. Da kommen die ganzen alten SED-Genossen …
    – Sie war doch gar nicht in der Partei, sagte Muddel.
    – Du kannst ja hingehen, sagte Klaus. Und es klang noch weniger überzeugend, als er hinzufügte: Ich hab nichts dagegen!
     
    Beim Kochen redeten Klaus und Muddel noch ein bisschen über Oma Irina (und ihren Alkoholismus), über Opa Kurt (ob er noch immer in der Partei war) und über Wilhelm, den Klaus gar nicht gekannt hatte, über den er aber sprach wie über einen Verbrecher. Markus ärgerte sich, dass Muddel ihm (wie immer) zustimmte. Er erinnerte sich, während er die einfarbigen grünen Servietten faltete und die grünen Kerzen auf den Tisch stellte, daran, wie sie damals zu Wilhelms Geburtstag gegangen waren und wie Muddel zu Klaus gesagt hatte, sie gingen zum Geburtstag ihrer Mutter, und wenn er jetzt schwieg, dann nur, weil er Muddel vor Klaus nicht blamieren wollte.
    Beim Essen nervte Klaus wieder mit Politik, genauer gesagt, mit kleinen Geschichten, mit denen er sich wichtigmachen wollte: Wen interessiert es, was Helmut Kohl letzte Woche beim Mittagessen gesagt hatte oder dass im Restaurant des Bundestages Löffel geklaut worden waren. Markus hörte gar nicht hin, er hatte auf einmal mächtigen Hunger. Es gab gebratenes

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