Ruge Eugen
Keks zu gehen, er ging früh ins Bett, holte sich noch einen runter (diesmal auf die Schmutzigblonde mit den Sporttitten).
Am Mittwoch nach der Schicht drückte er sich eine Weile im sogenannten Zentrum herum, beobachtete zwei Autofahrer, die sich wegen eines Blechschadens anbrüllten. Ging dann in den einzigen Club, der mitten in der Woche geöffnet war. Stand eine Weile in der Ecke und glotzte Mädels an.
Am Donnerstag versuchte er, ein bisschen Mathe zu lernen.
Am Freitagmorgen sagte er Ralf, dass er zur Beerdigung seiner Oma musste. Ralf fuhr ihn zum Bahnhof.
Gegen elf war er am Friedhof Goethestraße. Früher war er manchmal mit den Großeltern hier vorbeigegangen, hatte von draußen die Grabsteine oder alte Omis mit Gießkannen gesehen, aber noch nie war er auf den Gedanken gekommen, dass das, was hinter der zerfallenden Mauer, hinter dem zwischen schiefen Eckposten hängenden Tor lag, irgendetwas mit ihm zu tun haben könnte. Immer war es ihm vorgekommen wie eine Exklave außerhalb der Zeit, außerhalb der Welt, und obwohl es ja ein Friedhof war, überfielen ihn, als er ankam, sogar Zweifel, dass hier heute seine Großmutter beerdigt werden sollte. Aber tatsächlich war in einem verwitterten Schaukasten am Eingang eine Beerdigung für heute, zwölf Uhr, angezeigt.
Obwohl es nicht unter null war, war es saukalt. Die Feuchtigkeit hing in den Ästen, durchdrang alles, den Boden, die Luft und bald auch den alten schwedischen Soldatenmantel, den er sich in Berlin in dem Laden gekauft hatte, wo es Klamotten zum Kilo-Preis gab. Markus ging ein paar Schritte vor dem Friedhof auf und ab. Der Laden gegenüber war mit Brettern vernagelt. Einzig ein Blumenladen war geöffnet, ein ramponierter DDR-Flachbau, der rings um das Schaufenster halbherzig mit tags besprüht war. Markus betrat den Laden. Hier war es warm, aber die Verkäuferin fragte ihn sofort, was er wünsche, und eine Weile tat Markus, als suche er Blumen aus, und tatsächlich kam ihm die Idee, dass er ja Blumen für Oma Irina kaufen könnte. Aber er hatte nur noch knapp zehn Mark in der Tasche und beschloss, dass es klüger war, in der nächstbesten Kneipe ein heißes Getränk zu bestellen.
Fünfhundert Meter weiter fand er eine im Souterrain liegende Eckkneipe, die Friedensburg hieß. Er war der einzige Gast. Ein alter Boxer-Hund mit grausamen Krebsbeulen lag leise schnarchend neben dem Tresen. Ein Kellner mit dünnen, nach hinten gekämmten Haaren und einer bekleckerten Serviette über dem Unterarm schlurfte sehr langsam, fast in Zeitlupe, durch den Raum und stellte mit den Worten «Sehr zum Wohle, der Herr!» ein kleines Tablett vor ihm ab, auf dem sich eine Tasse Tee, ein Gläschen Rum und eine Zuckerdose befanden. Markus kippte den Rum in den Tee und tat zwei Löffel Zucker dazu, weil er vermutete, dass dies dazugehörte. Das Getränk stieg ihm sofort in den Kopf, und zum ersten Mal seit er von Oma Irinas Tod wusste, überkam ihn so etwas wie Traurigkeit, und er war erleichtert, ja beinahe froh darüber. Er stellte sich vor, wie sie – Opa Kurt, sein Vater und er – gleich am Grab von Oma Irina stehen würden, eine wortlose, ergreifende Szene. Oder war auch ein Pfarrer dabei? Mit Regenschirm, wie in dem Film, den er mal gesehen hatte? Wo war eigentlich das Grab? Oder traf man sich erst mal am Eingang?
Als er – sicherheitshalber kurz vor zwölf – wieder zum Friedhof kam, war der winzige Tee-mit-Rum-Rausch schon wieder verflogen. Plötzlich war die holprige Straße mit Autos zugeparkt, Menschen kamen von allen Seiten. Sie trugen Kränze und Blumen. Markus folgte ihnen eine Allee entlang, die auf ein kleines Gebäude zuführte. Vor dem Gebäude ein Gedränge wie an der S-Bahn bei Berufsverkehr. Der Raum drinnen war vollkommen überfüllt. Man klappte die Flügeltür auf, damit die draußen auch etwas sahen, und es kamen immer noch mehr Menschen, Paare, Grüppchen, einzelne Personen. Markus schaute sich die Gesichter an – ob das die alten Genossen waren, von denen Klaus gesprochen hatte: die Frau mit den gefärbten Haaren, der Schauspieler, den er schon mal im Fernsehen gesehen hatte, oder dieser unglaublich dicke Mensch mit den chaotisch abstehenden Haaren … Und der mit dem großen, rotblauen Kopf, war das nicht der Typ, der damals auf Wilhelms Geburtstag mähr Demogradie gebrüllt hatte?
Über Köpfe und Schultern hinweg warf er einen Blick ins Innere des Gebäudes. Ganz hinten stand ein großes schwarzes Kreuz. Links und rechts davon
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