Ruge Eugen
sagte Charlotte und legte auf.
Dann wandte sie sich ihren Aufgaben zu. Es war noch eine Menge zu tun, und jetzt, wo sie allmählich in Fahrt kam, machte es sie nervös, dass Lisbeth noch immer unter dem Ausziehtisch steckte. Nur ihr Hintern guckte hervor.
– Was machst du denn da, fragte Charlotte.
Ohne ihre Frage zu beantworten, sagte Lisbeth:
– Sag mal, Lotti, haben wir nicht noch mehr Plastebehälter in der Küche?
– Ach was, Plastebehälter, sagte Charlotte. Das kommt alles auf den Müll.
– In den Müll?
– Auf den Müll, sagte Charlotte. Wir sprechen hier immer noch Deutsch.
– Aber das is’ doch schade, Lotti! Dann nehm ich es mit, wenn du’s nicht haben willst.
– Ach was, mitnehmen, sagte Charlotte und hatte im selben Moment die Idee, dass man das abgestürzte Buffet vielleicht lieber fotografieren sollte, bevor Lisbeth es wegräumte.
Allerdings klingelte es jetzt. Wer klingelte denn um diese Uhrzeit? Ärgerlich, dachte Charlotte, man kam rein zu gar nichts! Wütend stapfte sie durch die Diele und riss die Haustür auf.
– Taxi, sagte der Mann.
– Danke, das hat sich erledigt, sagte Charlotte und wollte die Tür wieder schließen, aber der Taxifahrer bestand auf einer Anfahrtspauschale.
Anfahrtspauschale, dachte Charlotte. Das wird ja immer schöner.
Aber sie hatte Wichtigeres zu tun, als sich mit dem Taxifahrer herumzustreiten. Sie drückte ihm zehn Mark in die Hand. Und ehe der Mann das Wechselgeld herausgekramt hatte, verlor sie die Geduld und schloss die Haustür.
Rasch ging sie in den Salon und befahl Lisbeth:
– Schluss jetzt!
Noch immer war von Lisbeth nur der Hintern zu sehen. Allmählich kam es Charlotte vor, als spräche sie mit Lisbeths Hintern.
– Lotti, das geht nicht, sagte Lisbeth. Wir können das nicht einfach liegenlassen!
– Wir haben jetzt wirklich Wichtigeres zu tun, sagte Charlotte. In der Küche steht noch das ganze Geschirr. Und der Abendtee für Wilhelm muss auch allmählich aufgebrüht werden, sonst beschwert er sich wieder, dass er zu heiß ist.
– Das Geschirr mache ich nachher noch, sagte Lisbeth, und den Tee kannst du doch rasch aufbrühen, eh ich hier hoch bin.
– Selbstverständlich, sagte Charlotte. Entschuldige! Ich hatte vergessen, dass du hier die Hausherrin bist!
Wütend stapfte sie in die Küche, schloss die Tür. Drehte vorsichtshalber den Schlüssel um. Horchte.
Ihr Atem rasselte.
Niemals, dachte Charlotte, hätte sie dieser Frau das Du anbieten dürfen. Kein Respekt, kein gar nichts. Tanzte ihr auf der Nase herum. Machte, was sie wollte … Wenn Wilhelm mal aus dem Haus ist, dachte sie, fliegt Lisbeth raus.
Sie umschloss das Fläschchen in ihrer Hosentasche fest mit der Hand und zählte bis zehn. Dann befüllte sie den Pfeifkessel und stellte ihn auf den Gasherd.
Seltsamerweise stand die Tür zum ehemaligen Dienstbotenflur schon wieder offen. Auch hatte jemand vergessen, das Licht auf der Kellertreppe auszuschalten. Ein schwacher Schein ließ auf jener Tür, die Wilhelm vor fünfunddreißig Jahren vermauert hatte, die Konturen der Ziegelsteine hervortreten … Rasch schaltete sie das Kellerlicht aus und schloss die Tür zum ehemaligen Dienstbotenflur.
Wenn Wilhelm mal aus dem Haus ist, dachte sie, kommt die Tür wieder auf. Idiotisch, das alles! Die Personalklingel hatte er auch abgeschafft, gleich als Erstes damals: weil es gegen seine proletarische Ehre verstieß! Aber sie durfte sich die Kehle wund schreien, wenn Lisbeth wieder irgendwo im Haus herumstreunte. Das verstieß nicht gegen seine proletarische Ehre. Sie war schließlich auch bereits sechsundachtzig! Zählte das nichts? Sie war auch bereits zweiundsechzig Jahre in der Partei! Sie war Institutsdirektorin geworden mit vier Jahren Haushaltsschule! Zählte das alles nichts? Zählte nur Wilhelms proletarische Ehre?
Sie ließ sich auf den Schemel fallen und lehnte sich mit dem Hinterkopf an die Wand. Der Pfeifkessel begann zu säuseln.
Auf einmal fühlte sie sich sehr schwach.
Sie schloss die Augen. Das Wasser im Kessel begann zu knistern, zu puckern … gleich würde sich ein leises Zischeln daruntermischen, sie kannte die Abfolge der Geräusche genau. Hunderte, Tausende Male hatte sie neben dem Pfeifkessel gesessen, hatte dem Geflüster des Wassers zugehört, und ihre Mutter hatte ihr mit dem Stullenbrett auf den Hinterkopf geschlagen, wenn am Ende auch nur der Ansatz eines Pfeifens zu hören gewesen war: Gas sparen, damit ihr Bruder studieren konnte. Dafür
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