Ruhelos
Außenministerium. Ich hielt inne. »Dann keine Angaben mehr, außer dass er das Croix de Guerre verliehen bekam – das belgische Croix de Guerre im Jahr 1945.«
»Das gute alte Belgien«, sagte sie tonlos.
Ich berichtete ihr weiter, dass er seine Verlegerkarriere 1946 angetreten hatte – anfänglich mit akademischen Fachzeitschriften, die sich vor allem aus deutschen Quellen speisten. Die deutschen Universitätsverlage lagen am Boden, waren gerade erst in Gründung oder in ihrer Handlungsfähigkeit behindert, und deutsche Akademiker und Wissenschaftler fanden Romers Zeitschriften sehr brauchbar. Von der Welle dieses Erfolgs getragen, spezialisierte er sich zunehmend auf trocken-akademische Nachschlagewerke, die teuer waren und vor allem von wissenschaftlichen Bibliotheken in aller Welt gekauft wurden. Romers Verlag – Romer, Radclyffe Ltd. – eroberte sich schnell ein eindrucksvolles, aber eng begrenztes Marktsegment, was 1963 zur Übernahme durch eine niederländische Verlagsgruppe führte, aus der Romer mit einem persönlichen Gewinn von etwa drei Millionen Pfund hervorging. Ich erwähnte die 1949 erfolgte Verehelichung mit einer Miriam Hilton (verstorben 1972) und die zwei Kinder – Sohn und Tochter –, doch meine Mutter zeigte keine Regung. Dann war da ein Haus in London – »in Knightsbridge«, mehr hatte ich nicht herausgefunden – und eine Villa in Antibes. Der Verlagsname Romer, Radclyffe bestand nach der Übernahme weiter (Romer gehörte zum Vorstand der niederländischen Verlagsgruppe und war weiterhin Berater und Direktor verschiedener Buch- und Zeitungsverlage). 1953 wurde er von der Churchill-Regierung zum Peer auf Lebenszeit ernannt, »wegen seiner Verdienste um die Verlagsbranche«.
Meine Mutter ließ ein sarkastisches Lachen hören. »Um die Spionagebranche, meinst du wohl. Die lassen sich immer ein bisschen Zeit.«
»Mehr habe ich nicht herausgefunden«, sagte ich. »Es gibt so gut wie gar nichts über ihn. Er nennt sich jetzt Lord Mansfield. Deshalb musste ich ganz schön suchen.«
»Sein zweiter Vorname ist Mansfield«, sagte meine Mutter. »Lucas Mansfield Romer – das hatte ich vergessen. Irgendwelche Fotos? Ich wette, es gibt kein einziges.«
Aber ich hatte eins gefunden, im Tatler, ein ziemlich aktuelles, das Romer mit seinem Sohn Sebastian zeigte, auf der Party zu dessen einundzwanzigstem Geburtstag. Romer, als hätte er den Fotografen erspäht, verdeckte Mund und Kinn mit der Hand. Ein Mann ohne besondere Merkmale: schmales Gesicht, Smoking und Fliege, deutlich ausgedünntes Haar. Ich hatte einen Abzug machen lassen und überreichte ihn meiner Mutter.
Sie betrachtete ihn, ohne eine Regung zu zeigen.
»Er ist ja kaum wiederzuerkennen. Gott, hat er Haare gelassen.«
»O ja. Und offenbar gibt es ein Porträt von ihm in der National Portrait Gallery, von David Bomberg.«
»Welches Jahr?«
»Neunzehnhundertsechsunddreißig.«
»Nun, das wäre sehenswert«, sagte sie. »Du bekämst einen Eindruck, wie er war, als ich ihn kennenlernte.« Sie schnipste mit dem Finger gegen das Foto. »Nicht dieser alte Knacker.«
»Warum willst du ihn ausfindig machen, Sal? Nach all den Jahren?«, fragte ich so unschuldig, wie ich nur konnte.
»Ich spüre, dass die Zeit reif ist.«
Dabei beließ ich es, denn jetzt kam Jochen mit einem Grashüpfer im Schmetterlingsnetz.
»Sehr schön«, sagte ich. »Wenigstens ein Insekt.«
»Ich glaube sowieso, dass Grashüpfer interessanter sind als Schmetterlinge«, erwiderte er.
»Lauf los, fang noch einen«, sagte meine Mutter. »Dann gibt es Abendbrot.«
»Mein Gott, es ist ja schon spät«, rief ich. »Ich habe ein Rendezvous.« Ich erzählte ihr von Hamid und seiner Einladung, aber sie hörte nicht zu. Sie war mit ihren Gedanken bei Romer.
»Glaubst du, du kannst seine Londoner Adresse herausfinden?«
»Romers? … Na, ich kann’s versuchen. Sollte nicht allzu schwer sein. Aber was dann?«
»Dann möchte ich, dass du dich mit ihm triffst.«
Ich griff nach ihrem Arm. »Sal, bist du sicher, dass das klug ist?«
»Nicht so sehr klug als vielmehr lebenswichtig. Absolut.«
»Wie soll ich denn so etwas arrangieren? Warum in aller Welt sollte sich Lord Mansfield of Hampton Cleeve auf mich einlassen?«
Sie beugte sich herüber und gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Du bist eine intelligente junge Frau – denk dir was aus.«
»Und was soll ich bei diesem Treffen tun?«
»Das sage ich dir genau, wenn die Zeit gekommen ist.« Sie lehnte sich
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