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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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»Wir können zu Fuß gehen.«
    Er rannte los, um sich der Demo anzuschließen, und eine Weile machte ich mir Vorwürfe. Wie dumm von mir, ihn in dieser Weise zu verdächtigen! Wir gingen ins Westgate, den Pyjama kaufen, aber die Frage, ob Teilnehmer einer Anti-Schah-Demo wirklich so scharf darauf waren, fotografiert zu werden, ließ mich nicht los.
     
    Ich stand über Jochen gebeugt, der seine Spielsachen einpackte, und redete ihm zu, nicht allzu wählerisch zu sein, da hörte ich Ludger die Treppe heraufkommen.
    »Ah, Ruth«, sagte er, als er mich in Jochens Zimmer sah. »Ich habe eine Bitte. Hey, Jochen, wie geht’s dir, Alter?«
    Jochen blickte hoch. »Danke, gut.«
    »Ich habe eine Freundin«, fuhr er zu mir gewandt fort. »Ein Mädchen aus Deutschland. Kein Girlfriend«, fügte er hastig hinzu. »Sie will sich Oxford ansehen. Und ich wollte fragen, ob sie hier übernachten kann. Zwei oder drei Tage.«
    »Wir haben kein Zimmer für sie.«
    »Sie kann mit mir schlafen – ich meine, in meinem Zimmer. Schlafsack auf dem Fußboden – kein Stress.«
    »Da muss ich Mr Scott fragen«, improvisierte ich. »Es gibt so eine Mietklausel. Ich darf wirklich nicht mehr als eine Person hier übernachten lassen.«
    »Wie bitte? Das ist doch deine Wohnung!«
    »Meine Mietwohnung. Ich gehe kurz runter und frage ihn.«
    Mr Scott arbeitete manchmal auch samstags, und ich hatte seinen Wagen draußen stehen sehen. Als ich die Praxis betrat, saß er auf dem Rezeptionstisch, schaukelte mit den Beinen und plauderte mit Krissi, seiner neuseeländischen Arzthelferin.
    »Hallo, hallo, hallo«, dröhnte Mr Scott, als er mich sah; hinter den dicken Gläsern seiner goldenen Brille wirkten seine Augen riesig. »Wie geht’s Klein-Jochen?«
    »Sehr gut, danke. Ich wollte nur fragen, Mr Scott, ob Sie was dagegen hätten, wenn ich ein paar Gartenmöbel in den hinteren Teil des Gartens stelle. Tische, Stühle, einen Sonnenschirm.«
    »Warum sollte ich?«
    »Ich weiß nicht. Es könnte die Aussicht beeinträchtigen oder was immer.«
    »Warum sollte es die Aussicht beeinträchtigen?«
    »Na dann, das ist sehr nett. Vielen Dank.«
    Mr Scott war als junger Armeezahnarzt im Februar 1942 im Hafen von Singapur stationiert worden. Vier Tage nach seiner Ankunft kapitulierten die Briten, und er blieb dreieinhalb Jahre in der Gefangenschaft der Japaner. Nach dieser Erfahrung, so hatte er mir völlig unbefangen und ohne jede Bitterkeit erzählt, war er zu dem Entschluss gelangt, dass ihn nichts im Leben mehr aus der Ruhe bringen würde.
    Ludger wartete oben auf der Treppe. »Na?«
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Mr Scott sagt nein. Nur ein Gast ist erlaubt.«
    Ludger schaute mich ungläubig an. Ich hielt seinem Blick stand.
    »Ach, wirklich?«, sagte er.
    »Ja. Du hast sogar Glück, dass er dich so lange hier duldet«, log ich, und jetzt machte mir die Sache richtig Spaß. »Mein Mietvertrag steht auf dem Spiel, musst du wissen.«
    »Was ist denn das für ein Scheißland«, ereiferte er sich. »Wo der Vermieter bestimmt, wer sich in deiner Wohnung aufhalten darf.«
    »Wenn’s dir nicht passt, kannst du jederzeit abziehen«, sagte ich fröhlich. »Komm, Jochen, auf zu Granny.«
     
    Ich saß mit meiner Mutter auf der hinteren Terrasse des Cottage, blickte über die gelb vertrocknete Wiese hinweg ins dunkle Grün des Witch Wood, trank selbstgemachte Limonade und warf immer mal ein Auge auf Jochen, der mit einem Schmetterlingsnetz im Garten umhergaloppierte, ohne einen einzigen Schmetterling zu erbeuten.
    »Du hattest recht«, sagte ich. »Romer ist tatsächlich Lord. Und vermögend, wie es aussieht.« Zwei Besuche in der Bodleian Library hatten weit mehr ergeben als die paar Fakten, die Bobbie York mir mitgeteilt hatte. Ich beobachtete meine Mutter genau, während ich ihr, von meinen Zetteln ablesend, Romers Lebensdaten vortrug. Geboren war er am 7. März 1899 als Sohn eines Gerald Arthur Romer (verstorben 1918). Ein älterer Bruder, Sholto, war 1916 in der Somme-Schlacht gefallen. Romer hatte eine kleine Public School namens Framingham Hall besucht, an der sein Vater alte Sprachen unterrichtete. Während des Ersten Weltkriegs war er Captain der leichten Infanterie beim königlichen Yorkshire-Regiment geworden und hatte 1918 das Military Cross erhalten. Nach dem Krieg absolvierte er das St. John’s College in Oxford, wo er 1923 einen Einserabschluss in Geschichte machte. Es folgten zwei Jahre an der Sorbonne, 1924-25. 1926 bis 1935 arbeitete er beim

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