Ruhig Blut!
aus einer halben Kartoffel geschnitten hatte. Shawn nahm alles sehr ernst. Er sprang auch für den Butler Spriggins ein, wenn der nicht im Dienst war, und er schlüpfte gelegentlich in die Rolle des Lakaien.
»N’abend, unser Shawn«, sagte Nanny Ogg. »Wie ich sehe, hast du wieder das tote Lamm auf dem Kopf.«
»Ooh, Mama «, erwiderte Shawn und versuchte, die Perücke zurechtzurücken.
»Wo ist der Priester, der die Namensgebung vornehmen soll?« fragte Nanny.
»Was, Mama? Ich weiß nicht, Mama. Vor einer halben Stunde bin ich damit fertig geworden, all die Namen auszurufen, und dann habe ich damit begonnen, die aufgespießten Käsestückchen zu verteilen… Ooh, Mama, du solltest nicht so viele nehmen, Mama!« *
Nanny Ogg saugte die Cocktailhäppchen von vier Stäbchen gleichzeitig und richtete einen nachdenklichen Blick auf die Menge.
»Ich werde mit dem jungen Verence reden«, sagte sie.
»Er ist der König, Nanny«, meinte Agnes.
»Das ist noch lange kein Grund, sich majestätisch aufzuführen.« »Vielleicht doch.«
»Unsinn. Finde du den Omnianer und behalt ihn im Auge.«
* Die Bewohner von Lancre lehnten die Demokratie ab und vertraten den Standpunkt, daß der König regieren sollte. Das war immerhin seine Pflicht, und sie würden ihn schon darauf hinweisen, wenn er irgend etwas falsch machte. Trotz dieser Einstellung gaben die Lancrestianer keine guten Bediensteten ab. Oh, sie konnten kochen, graben, waschen, nähen und so weiter. In dieser Hinsicht ließen sie nichts zu wünschen übrig, aber es mangelte ihnen an der richtigen Bedienstetenmentalität. König Verence wußte darüber Bescheid und fand sich damit ab, daß Shawn Gäste in den Speisesaal führte und rief: »Leckere Fressalien, greift zu, solange das Zeug warm ist!«
»Wonach soll ich denn Ausschau halten?« fragte Agnes verdrießlich. »Nach einer Rauchsäule?«
»Sie tragen alle Schwarz«, sagte Nanny fest. »Ha! Das ist typisch für sie!«
»Tatsächlich? Das gilt auch für uns.«
»Ja, aber wir…« Nanny klopfte sich auf die Brust, die dadurch in erhebliche Bewegung geriet. »Wir tragen richtiges Schwarz, klar? Geh jetzt und sei unauffällig«, sagte sie zu einer jungen Frau, die einen sechzig Zentimeter hohen und spitz zulaufenden schwarzen Hut trug.
Erneut sah sie sich in der Menge um und stieß ihren Sohn an. »Shawn, du hast Esme Wetterwachs doch eine Einladungskarte gebracht, oder?«
Er wirkte erschrocken. »Natürlich, Mama.«
»Unter der Tür hindurchgeschoben?«
»Nein, Mama. Du weißt ja, wie sehr sie letztes Jahr geschimpft hat, als
sich die Schnecken über die Postkarte hermachten. Ich habe sie in die Türangel geklemmt und mich vergewissert, daß sie richtig fest saß.« »Braver Junge«, sagte Nanny.
Von Briefkästen hielten die Lancrestianer nicht viel. Post traf nur selten ein; heftige Stürme waren weitaus häufiger. Warum also einen Schlitz in die Tür sägen, durch den ungebetener Wind ins Haus gelangen konnte? Man legte Briefe unter schwere Steine, stopfte sie in Blumentöpfe oder schob sie unter der Tür durch.
Es waren nie sehr viele. * In Lancre herrschte ein ausgeprägtes Fehdensystem, was bedeutete: Die Leute stritten die ganze Zeit über und vererbten den Streit ihren Nachkommen. In manchen Fällen reichte die Fehdentradition über mehrere Generationen. Ein ordentlicher Groll hatte in Lancre ähnliche Bedeutung wie guter Wein. Man behandelte ihn vorsichtig und respektvoll und vermachte ihn den Kindern.
Man schrieb niemandem. Wenn man jemandem etwas mitzuteilen hatte,
* Abgesehen von den Briefen, die mit Postanweisungen kamen und im großen und ganzen den gleichen Text enthielten: »Liebe Eltern, in Ankh-Morpork geht es mir gut, und in dieser Woche habe ich sieben Dollar verdient...«
so sagte man es dem Betreffenden ins Gesicht. Auf diese Weise blieb alles hübsch am Brodeln.
Agnes trat behutsam durch die Menge und kam sich dumm vor. So fühlte sie sich oft. Jetzt wußte sie, warum Magrat Knoblauch immer so komische weite Kleider getragen und auf einen spitzen Hut verzichtet hatte. Trage einen spitzen Hut und schwarze Klamotten – bei Agnes war dafür ziemlich viel schwarzer Stoff erforderlich –, und schon sehen dich die Leute mit anderen Augen. Dann bist du eine Hexe. Das brachte natürlich auch Vorteile mit sich. Zu den Nachteilen gehörte, daß man von Leuten, die in Schwierigkeiten waren, um Hilfe gebeten wurde – und nie zogen sie auch nur eine Sekunde lang in Erwägung, daß man ihre
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