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Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Titel: Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascale Hugues
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Genehmigung.» Ihr Nachbar Anton Singer, Autobereifung und Vulkanisieranstalt, Auto-Zubehör, Öle und Fette, wünscht neben der Tür seines Geschäfts ein Oberschild «Continental Reifen» anzubringen. 1936 empört sich Herr Scheffel, Feinkostladen in der Nummer  19 , dass man ihm untersagt, ein Transparent mit der Aufschrift «Trinkt Milch!» am Vorgartengeländer zu befestigen, und bemerkt, dass die Fleischer und die Eisgeschäfte ihrerseits dazu berechtigt seien, Reklame zu machen. Er bittet «um Aufklärung über die rechtliche Zulässigkeit dieser meinen Milchumsatz schmälernden Maßnahme. Heil Hitler!».
    Und dann die Liste der Mängelbeseitigung infolge der sukzessiven Revisionsprotokolle der Kaiser-Barbarossa-Apotheke. Ein Genuss!
Lymphbücher
werden angelegt.
Standgefäße mit Veratrinlösung
ausrangiert.
Rad. Pimpinellae
und
Folia Menthae
durch
einwandfreie Ware
ersetzt und andere
Standgefäße
mit
Folia Digitalis
neu paraffiniert. Sämtliche Stopfen und Deckel werden einer gründlichen Säuberung unterzogen, und der Linoleum-Belag in der Offizin wird ausgebessert. Reagenzien, Tinkturen und leere Flaschen werden aus der Materialkammer entfernt. Eine Morphinwaage wird nachgereicht. Sirup Althaeae rein von Schimmelpilzen. Ol. Foeniculi, Ol. Eukaliptus und Ol. Juniper vor Licht geschützt. Standgefäße von Xyrol und Collodium mit feuergefährlich bezeichnet. Sir. Simplew wurde frisch gekocht. Giftwaage wurde neu geeicht.
     
    Und auf einmal werden die okkulten Listen und die trockene Behördensprache von schwülstigen Höflichkeitsfloskeln beiseitegedrängt: «Wir nehmen höflichst Bezug auf die gefällige Zuschrift vom 10 . August … Wir fragen nochmal ergebenst … Herrn Hochwohlgeborenen königlichen Baurath …»
    In den dreißiger Jahren weicht das bombastische «Hochachtungsvoll» dem «Heil Hitler!» mit seinem forschen Ausrufezeichen oder dem dröhnenden «Mit deutschen Grüßen». Und im Nachkriegs-Bundesdeutschland müht sich das «Mit freundlichen Grüßen», die Distanz aufzuheben, während Respekt und Freundschaft etwas durcheinanderzugeraten scheinen.
     
    Es ist ein wenig, als würde man allein durch den ersten Schnee waten, Schritt für Schritt, Seite für Seite. Ich fasse die losen Blätter ganz behutsam an. Versuche Silbe um Silbe der altdeutschen Schrift zu entziffern. Meistens aber schaffe ich es nicht einmal, die einzelnen Buchstaben dieser Texte voneinander zu trennen, die der geraden Linie eines Elektrokardiogramms gleichen, wenn das Herz zu schlagen aufgehört hat. Welche Erleichterung, wenn der regelmäßige Anschlag einer Schreibmaschine auftaucht, die blaue Tinte eines Stempels. Manchmal ein Gekritzel am Rand, vielleicht eine Anmerkung, ein plötzlicher Einfall, ein Geistesblitz … Dieses Dickicht aus gewundenen Ranken bleibt für mich undurchdringbar. Ich gebe acht, die Seiten beim Umblättern nicht zu beschädigen. Das Gedächtnis der Straßen ist fragil. Weiß der Himmel, durch welches Wunder all diese Dokumente den Bombardierungen standgehalten haben, den Bränden, dem Drunter und Drüber von 1945 , den sukzessiven Neuanfängen und Umzügen, der Feuchtigkeit, den Ratten, den Aufräumattacken eines neuen Bauamtfürsten, dem Eifer eines Lagerverwalters, der auf den Regalen Platz für neue Kapitel der Geschichte schaffen wollte, der Vergänglichkeit der Zeit.
    Ich atme ihren leicht süßlichen, fast milchigen Geruch ein. Manchmal steigt ein säuerlicher oder modriger Mief auf. Der Duft nach altem Leder, vielleicht sogar Tabak. Auf einige gewellte Blätter haben Feuchtigkeitsflecken eigenartige Landschaften gemalt. Krümel von getrocknetem Papier rieseln auf den Teppich herab. Stundenlang stöbere ich, mit Händen voller Staub, hellwachen Augen und klopfendem Herzen. Ich schließe Bekanntschaft mit meinen Nachbarn der vergangenen Jahrzehnte, die lange vor meiner Geburt, lange bevor ich in meine Straße gezogen bin, da wohnten. Ich entdecke diese Welt, die ohne den Eifer dieses Archivars, der Stunden damit verbracht haben muss, diese Fülle an Dokumenten zu sortieren und zu ordnen, für immer verschwunden wäre. Regelmäßig bekomme ich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, von dieser uferlosen Masse überrollt zu werden.
    Aber welche kindliche Freude, wenn ich auf einen bekannten Namen stoße: H. Eller, der Bezirksschornsteinfeger! Und sieh mal an, da haben wir ja den Hauptmann C. Tippenhauer aus der Nummer  19 wieder, «alter aktiver Offizier und

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