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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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schmal und nicht sehr hell. Der Mann mit den wirren schwarzen Haaren beobachtete ihn. Christian fühlte sich beengt. Er ging zwischen den beiden Längsbetten zum Fenster.
    Der Vater streckte ihm die Hand entgegen. Das Gesicht wirkte fahl und fremd auf dem weißen Kopfkissen. »Setz dich«, sagte der Vater. »Hat es geklappt mit deiner Schicht?« Christian fühlte sich ärgerlich werden; natürlich hatte es geklappt, sonst wäre er nicht hier. Er setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett, legte die Tasche auf die Knie. Er hätte jetzt irgendeine belanglose Bemerkung sagen müssen, aber er fand keine.
    Schweigen. Stille wie aus Gummi. Der Wasserhahn tropfte immer noch. Der Vater sagte: »Es ist in der Uferstraße passiert. Ich konnte nicht mehr auftreten. Ein Eisenbahner hat mich gefunden.« Christian sagte: »Ja, ja.« Er öffnete die Tasche, packte die Äpfel auf den Nachttisch, das Buch, die Kognakflasche. Er starrte auf das Fenster, die Hausmauer draußen, fleckiges Grau. »Das ist schön«, sagte der Vater. »Aber stell sie weg, sonst wird die Schwester böse.« Christian schob die Flasche in das untere Fach des Nachtschrankes.
    Worüber sprachen sie eigentlich? Christian hörte den Vater sprechen, fragen, hörte sich antworten. Was hatte er eben gesagt? Das Essen ist mies. Welches Essen? Natürlich, das Essen …
    Sonne auf der Hauswand, bewegte Schattenmuster. Links, außerhalb des Sichtwinkels, mußte ein Baum sein. Der mit den wirren Haaren hatte sich mit dem Gesicht zur Wand gedreht. Die Bettdecke lag unheimlich flach, als befände sich kein Körper darunter, nichts Lebendiges. Die Wände waren hellgrün und der Fußboden aus braunem Kunststoff, aber sonst war alles weiß in diesem Zimmer, ein Weiß, das Schweigen |323| anordnet, unpersönlich und kalt. Christian war plötzlich sehr müde, alles in diesem Raum war einschläfernd, die Menschen, die Gegenstände, die Farben und die Luft. Neuer Besuch kam, eine alte Frau in einem gefärbten Gabardinemantel. Sie ging zu dem jungen Mann mit den wirren Haaren. »Ihr Sohn«, sagte der Professor leise. »Er ist schon lange hier, Unterschenkelamputation.« Christian sah weg. Die Frau redete auf den Mann ein, leise und mit gleichmäßigen Pausen, es war, als habe die Stimme nur eine einzige Tonlage und einen einzigen Rhythmus. Der Mann hingegen sprach laut, hastig, abgebrochene Sätze, die keine Zeit hatten. Christian nahm erst jetzt die Blumen auf Vaters Nachttisch wahr. Von wem konnten sie sein? Der Professor bemerkte seinen Blick und sagte: »Manthei hat mich besucht, am Mittwoch.« Ach ja, Manthei. Das Cello, Schüttelreime, Anekdötchen, die Alte-Herren-Hausmusik. Dann war wieder das Schweigen zwischen ihnen, das Unbehagen, die Fremdheit. Der Professor war froh, daß sein Sohn gekommen war, aber er bemerkte auch den Blick, den Christian auf die Armbanduhr warf; es war ein Pflichtbesuch, er wußte es. Es liegt an mir, dachte er. Er versuchte, den Zwischenraum mit Worten zuzuschütten, witzelte über die Krankenhausgepflogenheiten und sah, daß der Abstand nur größer wurde. Christian stand auf, drehte das Tropfen aus dem Wasserhahn.
    Dann bekam der Mann mit dem Streckverband Besuch. Christian sah jetzt, daß er über Sechzig sein mußte, wenn nicht über die Siebzig. Der Besucher wickelte Nelken aus dünnem Papier, ließ Wasser in eine Vase, der Hahn tropfte wieder. Der Professor hatte sich aufgerichtet, es sah aus, als wollte er rufen. Da sah ihn der Besucher genauer an, kam herüber, zögernd, als traue er seinen Augen nicht, und sagte schließlich: »Nanu, Herr Professor … Was machen denn Sie hier?«
    »Ruinensalto«, sagte der Professor. »Beliebte Sportart der Neuzeit.« Dann stellte er Zacharias seinen Sohn vor. Christian |324| gab ihm linkisch die Hand. Seines Wissens hatte der Vater nie Beziehungen zu Leuten mit Parteiabzeichen gehabt. Wer war dieser Mann?
    Zacharias sagte: »Aber das hebt man sich doch für den Winter auf.« Der Witz war uralt. Dennoch lachte der Professor. »Übrigens«, sagte Zacharias, »kennen Sie sich?« Er deutete auf den Alten mit dem Streckverband. »Genosse Bellmann. Er war vor dem ersten Weltkrieg Reichstagsabgeordneter.« Der Professor dachte: Vermutlich behandelt ihn die Schwester deshalb so ruppig. Laut sagte er: »Ja, natürlich. Wir spielen schon seit Dienstag Schach miteinander.«
    Zacharias setzte sich dann drüben an das Längsbett. Christian sah sich den Mann mit dem Streckverband genauer an. Ein breites, gefälteltes

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