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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Fischer, der vorn ging, sagte zu Christian Kleinschmidt, der hinten ging mit der Axt und dem Stempel: »Gib mal den Kaukamm her.« Denn er war aus den anderen Schächten gekommen, den doppelt tiefen, wo die Steinkohle liegt, und die Axt heißt dort so. Alles heißt dort anders. Die Arbeit ist anders. Die Menschen sind anders. Das hat der Berg gemacht in fünfhundert Jahren.
    Sie hatten den Türstock erreicht, der in die Knie gebrochen war. Glitschiges Holz, das dem Druck nicht mehr standhielt; Geröll brach nach, senkrecht und seitlich. Sie räumten das Bruch. Sie schlugen den Stempel zurecht. Hermann Fischer, mit weiten Rundschlägen, trieb einen Keil heraus, der unter der Firste klemmte. Überkopfschläge, schwitzender Stein. Dann glitzerte es rot vor hochgehaltener Handlampe, eine Druse im Berg, faustgroß. »Kobalt«, sagte Fischer. In seinem Haus, im Wolfswinkel, hatte er eine ganze Sammlung. Unten in der Kohle findet man manchmal Abdrücke von Farnen und Schachtelhalm, seltsame Gebilde. Hier findet sich nichts dergleichen, eher schon Bleiglanz und Quarz, Kristalldrusen und Wismut. Zweihundertfünfzig Millionen Jahre lagert die Kohle, Braunkohle höchstens sechzig Millionen, das ist kaum der Rede wert. Wie lange liegt die Uranpechblende? Chemische Prozesse, wenn man den Markscheider fragt. Mineralogie ist schwer zu erklären. Aber nichts ist von Anfang an da. Rot blüht an der Firste die Kobaltblüte.
    »So«, sagte Hermann Fischer, »der steht gut.« Und sah sich den Türstock an, Stempel, den er ausgewechselt hatte, gekehlt gegen den Druck der Firste, Kappe gegen den Stoß gekehlt. Leuchtete ihn ab mit der Handlampe. Soweit sich der Berg nicht trug, würde der Türstock ihn tragen.
    Sie gingen weiter. Die Lampen warfen wenig Licht. Wasser tropfte, sickerte an Schalhölzern, sammelte sich im Wassersaig. Der Junge ging sicherer jetzt, wenig gebückt, gleichmäßig. Der Alte wußte noch, daß ihn manchmal nur so eine |43| ruhige Stunde gerettet hatte, in seinem ersten Schachtjahr, und später bei anderer Gelegenheit. Er wußte, daß jeder Mensch seine Grenze hat, die er nur allmählich weiterrücken darf, und er sah, wenn einer hart an seiner Grenze angekommen war. Aber der Junge wußte nur, daß er morgen wieder in den Abbau mußte, Gestein sacken, Hunte schleppen, Luft aus rasselnden Lungen keuchen, niederbrechen, sich hochreißen erneut. Nachts noch träumte er von Gebirgen, die auf ihn hereinbrachen, oder träumte im Schlaf noch von Ausruhen und Schlafen. Da war der Berg, da war die Arbeit, das war alles. Prometheus war an den Felsen geschmiedet. Sisyphus wälzte den Stein bergauf. Es hatte sich nichts geändert. Es hat einer die Sprache Luthers und Shakespeares studieren wollen und hat nun keine anderen Sehnsüchte als die nach der Waschkaue, wenn sie nebeneinanderstehen und sich den Dreck abschrubben, Dreck aus rissigen Schlünden spucken, Flüche und Schleim und Gelächter. Wenn sie die Schicht in den Knochen haben und vor sich: nichts Nennenswertes. Abgestürzt in den größeren Teil der Menschheit, sah Christian Kleinschmidt: Man kam ohne alles aus, nur ohne Essen nicht, ohne Schlaf, ohne Ruhe. Und nicht einmal sich darüber Gedanken zu machen, hatte er noch Kraft. Als ob das alles abgestorben wäre mit einem anderen Leben.
    Und einer hatte gelehrt: Des Körpers Arbeit befreit von der Seele Schmerz; das ist’s, was den Armen glücklich macht.
    So gingen sie die Strecke entlang, dem Magazin zu. Der Alte blieb manchmal stehen und leuchtete in den Ausbau. Er kannte jeden Winkel in diesem Revier, und er wußte, wo gut gearbeitet worden war und wo weniger gut, auch, wo der Berg arbeitete und wo er zur Ruhe gekommen war vorerst. Mit dem Stiefel schob er manchmal Gestein vom Fahrgleis, und einmal fanden sie einen Stempel, den hatte ein Ketcher verloren. Auch einen Hackenstiel fanden sie und ein Stück Luftschlauch. Ein Zug begegnete ihnen, und der Alte sagte dem E-Lok-Fahrer Bescheid, wo er noch Erzkisten hinbringen |44| sollte und daß sich auf 37 die Hunte stauten. Hunte waren knapp, an manchen Tagen stockte ihretwegen die Arbeit. Der Transport mußte immer wieder neu organisiert werden und immer wieder anders. Ein Dispatchersystem hatten sie noch nicht. Überhaupt war vieles knapp: Bohrkronen, Ventilkugeln, Luftschläuche, Seile. Manchmal wurden Gezähekisten aufgebrochen und Werkzeug gestohlen. Es hatte Tage gegeben, da war kein Schaufelstiel aufzutreiben, an anderen gab es zwanzig Kilometer im Umkreis

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