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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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an eine Rückkehr war nicht zu denken. Denn es ging nur noch so und weiter: in dieser Richtung. Denn es kann der Mensch doch nicht einfach auf der Stelle bleiben, heißt es.
    Da waren aber welche, die klopften Hermann Fischer auf die Schulter, hatten was entdeckt an seinem Jackettaufschlag: |610| Mach das Ding mal lieber ab, Alter. Da waren sie gerade an den Richtigen geraten. Und wie einer bißchen nachhelfen wollte, langte Titte Klammergas von hinten zu: Aber sie waren nun schon Mittelpunkt, obschon die anderen auch nicht mehr waren als fünf oder sechs, dahinter freilich standen dreißig oder vierzig, die waren nicht handelseins mit den fünf, sechs, also so geht’s ja auch nicht. Den kenn ich doch, sagte da von den fünfen einer. Das ist so ’n ganz Scharfer, so ’n Denunziant, der hat bei uns welche abholen lassen von den Russen, die hat nie wieder einer gesehen. Fragt ihn mal, wieviel er ans Messer geliefert hat, das Schwein! Schrie immer zu Hermann Fischer hin, und hinten gafften sie, die wußten nun nicht mehr, die waren jetzt mindestens drei Parteien, so wird das gemacht. Hau ihm doch in die Fresse, mach doch nicht so ’n Ruß mit dem Schwein; hat denn das keiner kommen sehen?
    Plötzlich Kleinschmidt. Drängte sich durch zu einem langen Kerl im Eisenbahnermantel, fuchtelte dem mit einem Ausweis vor der Nase herum, Wismut, Mensch, während Titte Klammergass einem, der die Hand hob gegen Fischer, einen Tiefschlag steckte – ja aber wenn sie doch gar nicht von hier sind, ja aber kann der den doch gar nicht kennen, Gesindel, verdammtes, und die Eisenbahner hinten nach vorn nun, und die fünf Gestalten allein: Die sind doch vom SSD, die haben doch alle Taschen voll Ausweise; kamen aber nicht mehr an, verdrückten sich seitwärts, ein besserer Beweis war gar nicht möglich, na, sagte der im Eisenbahnermantel, denen sollte man – das war gerade noch mal gutgegangen.
    Solche Zeiten sind das. Wir sind da mit dem Lkw steckengeblieben, sagte Hermann Fischer. Und der lange Eisenbahner bot Zigaretten an, Titte Klammergass gab seine Papyrossi-Schachtel reihum, Fischers anderer Dialekt entfinsterte letzte mißtrauische Gesichter – kommt man mit, sagte der Lange, soll da eine Kundgebung sein. Da waren sie so gut wie zugehörig.
    |611| Christian dachte dennoch: Hat denn das keiner kommen sehen? Das ist doch nicht von ungefähr, und wie das anderswo aussehen mag, und wie das weitergeht, und … Diese Straße lang, Haustüren, Schaufenster, Firmenschilder, Geschichte macht sich immer so, daß alle etwas wollen, herauskommt aber: was keiner gewollt hat. Und inmitten der Eisenbahner nun, diese Straße lang, aber sie müssen sich doch etwas denken, wenn sie das sehen, Denunziation, das da, das nichts will als aufputschen und sich verdrückt, wo einer Front macht, aber was denken denn nun diese Leute? Überall in diesem Land, und bevor die Legenden geboren werden, es hat jeder das Seine gesehen, was denken die Leute …
    Einer namens Vitzthum. Ist gekommen wie alle, hat wie alle gehört, weiß nichts Genaues wie alle, steht aber unweit der Sektorengrenze, Berlin, Potsdamer Platz, Westsektor noch, steht da in einem Pissoir, da hat er halt mal hingemußt, macht nun seine Entdeckung. Haufen junge Leute, die nicht stehen und pinkeln und dann gehn wie der Normalbürger, sondern sie haben irgendwelche Sachen zu verteilen, sehen kann man nicht viel, stehen mit breiten Rücken davor, jedenfalls hat einer einen Koffer und verteilt daraus etwas und dem Klicken nach ist Metall im Spiel, sieh mal an – und was denkt sich nun Vitzthum? Oder aber Loose. Weil die Mittelschicht nicht einfahren durfte, in diesem VEB Knast. Und die Frühschicht kam zurück, wußte allerhand von Streik und Umsturz und von den Amis, die nun kommen würden, und Genaues wußten sie nicht. Übrigens wurden die Zeitungen, die man hier bekommen konnte, mit Löchern geliefert, und morgen würden die Löcher sicher noch größer sein als sonst, vielleicht würden ganze Seiten fehlen und nicht nur die ausgeschnittenen Artikel wie üblich, oder aber es gab morgen gar keine Zeitung – jedenfalls saßen sie da in dieser Strafvollzugsanstalt Zwickau, auch Schloß Osterstein genannt, altes Gemäuer, saßen da auf Schachtbelegschaft und durften nicht anfahren zur Arbeit. Und Peter Loose saß mit da, mit dem Papierchen, |612| darauf stand, daß sein Urteil überprüft würde, das Papierchen war schon zwei Tage alt; und seit vier Tagen waren hier massenhaft Leute

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