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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Schlaf noch vom Schlafen träumte. Er stieß den Meißel in den Berg, der Hammer sprang nach, er pickerte die dritte Kiste.
    Dann kam der Radiometrist. Schob seinen Kasten herein, hockte sich an den Stoß, fluchte. »Wo haben sie denn dich losgelassen?« brüllte er über den Hammer weg. »Räum gefälligst mal deine Bühnen ab, da bricht man sich sämtliche Knochen!« Christian hörte ihn schreien, aber er verstand nichts. Er setzte den Hammer ab. Aber der Radiometrist sagte nun nichts mehr.
    Er stülpte sich die Kopfhörer über und tastete mit dem Zählrohr die Wand ab. Christian hörte das Knattern der verstärkten Impulse. »Jup die Geige«, sagte der Radiometrist, »da ist ganz schön Saft drauf.« Er zeichnete Markierungen an die Wand; bis zur Rolle war alles aktiv. Er horchte auch den Boden ab, aber das Erz knatterte wie verrückt, sie mußten es erst beiseite räumen. »Na«, sagte der Radiometrist, »laß das Zeug bloß nicht in die Masse geraten. Olle Drushwili hat wieder mal seinen scharfen Tag. Mindestens ’n halbes Dutzend Hunte hat der schon abgefangen, weil da noch ’n Krümel Erz drin war. Hat mich glatt zwei Hunte umpacken lassen, und da war’s dann jedesmal so ’n Kirschkern von der Güte.«
    Es war still im Überhauen; weiter hinten hörte Christian wieder den anderen Hammer. Der Radiometrist drehte sich eine Zigarette. Er hörte den Hammer jetzt auch. »Aljoscha«, sagte er. »Der wird auch gleich rasiert.« Aber er setzte sich erst mal auf seinen Kasten und rauchte.
    |114| Überhaupt: ein seltener Vogel.
    Der hatte seinen Schlag zwei Wände von Christian entfernt, oben im Lager Rabenberg, in der gleichen Baracke. Walter Bergschicker, Radiometrist. Oder aber: Geophysiker, wie manche das nannten, Ausbildung drei, vier Wochen Lehrgang, und dann so was. Und hatte eine Schußnarbe am Oberschenkel und eine Granatsplitternarbe an der Schulter und erfrorene Ohren und keinen linken Daumen. Eine ramponierte Type. Und war vielleicht Achtundzwanzig. Und war auf einem Minensucher gefahren, bis man ihn absägte in der glorreichen KM, Gründe nicht überliefert, ab an die Ostfront. »Stalingrad«, sagte er manchmal. »Haben den Namen vielleicht schon mal irgendwo gehört. Unbestritten bedeutendster Lehrstuhl für neuere deutsche Geschichte. Hab da zwei Jahre absolviert. Kann ich nur jedem empfehlen. Ein Semester Gefrierfleisch, ein Semester Heldenklau, dann ein paar Monate Birkenkreuz mit Schwertern und Brillanten. Kolossal lehrreich, meine Herren.« Verheiratet war der Radiometrist mit Schacht und Geigerzähler, und russisch sprach er besser als der Schachtleiterhelfer, und seid bereit immer bereit zu Wodka-Umtrunk wie Stoßschicht, Doppelschicht wie Wodka-Umtrunk; wenn sich aber welche in den Haaren lagen, im Lager und anderswo, stand er dabei und pfiff vor sich hin: Lieb Vaterland, magst ruhig sein, das war sein Lieblingslied. Außerdem organisierte er pausenlos solche Kurse und Versammlungen, man mußte sich wundern, wo er die Zeit hernahm. Mit Peter Loose hatte er da gleich am dritten Tag Ärger. Hatte ihn agitiert für so einen Abendkursus: Zusammenbruch des Faschismus und die historischen Aufgaben der deutschen Arbeiterklasse oder so. »Geh doch zu denen, die dabeigewesen sind«, hatte Loose gesagt. Der Radiometrist hatte sich’s angehört und gegrient. »Sieh da, ein weißer Rabe. Nicht dabeigewesen, folglich nicht dran schuld, folglich nicht interessiert. Ihr hättet natürlich alles ganz anders gemacht an unserer Stelle, nicht? Erkennt man daran, |115| daß ihr auch heute alles ganz anders macht. Mütze über die Ohren, Augen zu, Schnauze auf: Muh! Eine liebliche Generation, kann man wohl sagen. Und Sie, Herr Nachbar?« Das ging an Christian. Aber der glaubte nicht, daß irgendwas so und nur so sein könnte, es gab immer noch eine andere Lösung, oder wenigstens einen anderen Weg. »Macht ihr euch euren vorgedruckten Versammlungsvers, ich mach mir meinen selber«, hatte er gesagt. Und der Radiometrist hatte die Augen zusammengekniffen und gemurmelt: »Verstehe, Intellektueller.« Und hatte ihn stehenlassen.
    »Meine Herren«, sagte der Radiometrist, »woll’n wir mal wieder.« Er drückte seine Kippe aus und griff seinen Kasten. »Ich komme dann und helfe dir die Kisten abseilen.«
    Christian sah ihm nach, wie er nach hinten kroch, immer in die Richtung, aus der der andere Hammer tuckerte. Dann arbeitete er weiter.
    Und es geschah etwas Seltsames.
    Der Pickhammer arbeitete ruhig und

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