Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
Vom Netzwerk:
hier. Noch lagerte die Ader, aber Christian konnte den Raum schon sehen, wie er sein würde, wenn er sie bezwungen hätte. Und da kniete Aljoscha am Berg, und war nun einfach einer wie damals Pitt oder Hannes, als sie den Entdeckerspielen eine Unterkunft gemauert hatten. »Nu tak«, brüllte Aljoscha, und noch irgend etwas, dieses Wismut-Idiom aus Deutsch und Russisch und gutem Willen, aber |118| Christian verstand schon, nahm den Hammer auf die andere Seite, Aljoscha entgegen, und sie brachen den Brocken weg, der zwischen ihnen stand. Der kam, und wie sie das Erz packten und die Hämmer schwiegen, und Aljoscha, wie er grinste übers ganze Gesicht, da sang der doch was, etwa: Griuss zum chletzten Mal, so ein Liedchen, wie mit dem Fuchsschwanz zersägt, irgend so was sang er. So stießen sie vor, und die Hämmer donnerten wieder, und die Luft dröhnte, der Berg wich zurück.
    Das muß man sich vorstellen: Seit Jahrmillionen lagert das Erz, unzugänglich, unnütz, und nun kamen sie und wußten damit umzugehen und ließen sich nicht aufhalten. Unerschlossen lag der Fels, unpersönlich, aber morgen würde es die rötliche Kalkspatdruse nicht mehr geben, oben, unter der Firste, und auch die beiden Bohrpfeifen nicht. Wieder ein Stück höher würden sie morgen sein, Masse in die Rolle scharren und die Strahlungsgrenze markieren, und würden ihre Leinwandplane ausbreiten und die Hämmer aufdonnern lassen, immer dem Erz nach. Bloß eins, dachte Christian, bloß etwas einfallen lassen müßte man sich, es muß doch auch einfacher gehen, und leichter, verdammt noch eins. Es muß doch etwas zu machen sein, das gibt’s doch gar nicht, daß man eine Sache nicht einfacher machen kann. Bloß wie. Bloß wie, das ist immer die Frage.
    Aber er sah nun, daß Aljoscha den Hammer abgesetzt hatte, daß er am Stoß saß und Zeichen gab. Er richtete sich auf. »Genug«, sagte Aljoscha. »Schluß, panimajesch?«
    Auf Erzkisten saßen sie, Aljoscha hatte ein paar Stückchen »Prawda« und losen Machorka, sie drehten Zigaretten. »Katorij tschas?« fragte Christian. Aljoscha holte eine Kapseluhr aus der Tasche, es war eine halbe Stunde vor Schichtwechsel. Christian wollte das nicht glauben. Er schüttelte den Kopf, und dann schüttelte er die Uhr, aber sie ging. Aljoscha sagte: »Schlechte Arbeit – lange Schicht, gute Arbeit – kurze Schicht.«
    |119| Und auch der Radiometrist kam. Seinen Kasten hatte er unten in der Strecke stehen lassen, er brauchte ihn heute nicht mehr. »Na«, sagte er, »ihr Rekordhacker?« Er zählte die Erzkisten und sagte: »Das könnt ihr dann plumpsen hören, wenn Fischers Hermann der Stein vom Herzen fällt.« Es waren dreizehn Kisten, und zwölf Kisten waren es drüben auf Aljoschas altem Erzplatz gewesen, die hatte der Radiometrist schon abgeseilt. Er nahm die Hälfte von Aljoschas Zigarette und tat ein paar Züge.
    Christian atmete tief, er saß zurückgelehnt, es war, als käme er von weit her. Der Berg wurde langsam wieder der Berg.
    Dann seilten sie die Kisten ab und verluden sie auf zwei Hunte und einen Ketcher. »Macht mal«, sagte der Radiometrist, »wir sind die letzten.« Sie schoben die Strecke lang und am Bunker vorbei, bergab rollte es ein bißchen. Sie fanden aber doch noch einen Zug, der sie mitnahm.
    Nun spürte Christian die Müdigkeit. Er war überwach, wie oft am Ende der Nachtschicht, gleichzeitig war er erschöpft und zerschlagen. Aber so müde wie an anderen Tagen war er nicht.
    Sie kamen in den kalten Sog der einziehenden Wetter, dem Füllort zu. Die Strecke war versperrt. Sie koppelten ihre Hunte ab und warteten.
    Und plötzlich dachte Christian: Großer Gott, was ist denn geschehen? Er sah auf einmal diese Schicht, wie sie vergangen war und was sie gebracht hatte, und er dachte: Wir haben fünfundzwanzig Kisten gemacht, gerade fünfundzwanzig, und ich habe mitgemacht, als sei das meine Sache. Aber was geht mich denn das alles an? Was geht mich die Wismut an, und dieser Drushwili, und dieser Fischer? Dieser Parteisekretär, der zu denen gehört, die mich nicht studieren lassen. Und Aljoscha, was geht mich das alles an, und warum hilft er diesem Fischer, und warum hat er mir geholfen? Mein Gott, dachte er, was ist denn über mich gekommen, daß ich |120| alles vergessen habe … Er sah diese Schicht, und er sah, daß etwas geschehen war, in ihm, mit ihm – aber was? Er setzte die Füße schwer und schleppend. Er fand keine Antwort.
    »Nu mach man«, sagte der Radiometrist. Die Strecke

Weitere Kostenlose Bücher