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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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So hatten sie auch damals gestanden, Gieraugen, Blut muß fließen, feste gib’s ihm! Man hatte damals zugeschlagen um eines schmalen Handgelenks mit einem Talmikettchen willen – vielleicht aber auch aus einem ganz anderen Grund. Vielleicht spürte man sie immer heraus, die Schläger, die alle anderen ducken mit ihrer bedenkenlosen Kraft, die noch immer Macht und Recht ist; vielleicht. So hatten sie auch damals gestanden, lauernd, feig, neugierig. Sie würden sich wieder ducken, wenn der Mörder jetzt zur Tür herein käme, würden gierig beobachten, wie man zuschlägt und vielleicht zusammengedroschen wird – es würde sie nicht rühren. Ging es aber umgekehrt aus, würden sie Heil schreien und man wäre ihr Mann. |241| Bis ein anderer käme, der einem die Knochen bricht – sie würden sich wieder ducken.
    Die Kneipe war auf einmal voll von Gerüchten und Geschichten; sie stiegen von den Tischen auf und schwammen heran; da ist er, da steht er, er hat den Mörder geschlagen, seht! Die Flucht durch die Hintertür war ausgelöscht. Er wollte mit der Kleinen anbändeln, der Mörder, da hat er ihn umgelegt mit einem einzigen Schlag. Nein, mit zwei Schlägen: Solar plexus und Kinnspitze. Es waren drei, die andern beiden sind getürmt. Nein, er hat sie alle drei verdroschen. Einen k.o., dem zweiten einen Tiefschlag, und dann den dritten. Einen Schlagring hat er gehabt, hat ihn immer in der Tasche. Sieht gar nicht so aus, was? Aber Knochen hat der, und schnell ist er, und glashart, sag ich euch! Ingrid, die alles genau wußte, stand mitten in den Blicken und lächelte, und freute sich, und war stolz. In dieser Minute begann auch sie, den Vorfall mit anderen Augen zu sehen.
    Vier Wochen später wird Peter Looses Ruhm endgültig begründet. Peter sitzt im Jugendheim, mit dem Rücken zum Klavier, die Gitarre auf den Schenkel gestützt, Jugendtanzabend, aber in einer Pause spielen sie Jazz; der Saxophonist in der Art Charlie Parkers, black and blue. Der Saal biegt sich. In den Tanzpausen, wenn die Stühle alle besetzt sind, sieht man, wie viele keinen Sitzplatz gefunden haben; es müssen ein halbes Hundert sein. Der Kartenabreißer am Eingang hat eine gebauchte Hosentasche voller Papierschnipsel. Black and blue, einschmeichelnd, vom Klavier her polyphon, dringt auch hinter die Bühne, in das Zimmerchen, wo der Klubleiter sein Abendbrot schmurgelt, die Eier erschrecken in der Pfanne. Der Klubleiter ahnt nicht, was sich in diesem Augenblick draußen tut. Vor der Bühne nämlich, rechts im Winkel, wo die Aufschriften der Klosettüren an die HJ-Vergangenheit erinnern – hier Burschen, da Maiden –, vor der Bühne setzt ein Langer einem Dicken aus einem Grunde, der hinterher nicht festgestellt werden kann, einen trockenen Kinnhaken |242| unter die Binde. Der Dicke wehrt sich, greift nach einem Schnapsglas, wirft, trifft aber nicht den Langen. Er trifft die Gitarre; das Glas zerbirst, reißt den Lack auf, reißt einen Schnitt in den Zeigefinger, zerreißt eine Saite. So kommt es, daß der Saal plötzlich Peter Loose aufspringen sieht, von der Bühne herabspringen sieht zum Winkel hin. So kommt es, daß fast alle Leute, die an diesem Abend im Jugendheim sind, einen Loose erleben, der einem etwas dicken jungen Mann einen Faustschlag versetzt, welcher furchtbar sein muß, denn der dicke junge Mann taucht, ohne einen Mucks von sich zu geben, unter den Tisch. So kommt es auch, daß fast alle glauben, die Prügelei, die sich nun dahinten bei Burschen und Maiden anläßt, sei eben durch den Faustschlag des Gitarrenspielers ausgelöst worden. Der aber ist längst durch die Bühnentür, längst zum Wandschränkchen mit Leukoplast und Hoffmannstropfen, verpflastert sich die Fingerwunde. Und er merkt nicht viel von der Legendenbildung, er merkt nur, daß eine Respektdistanz sich um ihn weitet.
    Loose steht an der Theke der Bahnhofskneipe. Er fühlt sich innerlich erfroren und taut nur langsam wieder in den Alltag zurück.
    Der Kellner war nun doch wieder zu seinem Kulitablett mit Henkelgläsern zurückgekehrt, von Ingrid bis dicht unter den Eichstrich gefüllt – Schnapsgläser spülte sie vor dem Einfüllen, das ergab, bei einigem Geschick, zwei bis drei Doppelte Plus pro Flasche. Peter bekam seinen Wodka in einem trockenen Glas. Er hielt ihn prüfend gegen die Glühbirne, tat gelassen, aber er sah diese Bermsthaler Gegenwart noch immer wie einen Film; man schaut sich das an und reagiert mitunter, aber es betrifft einen nicht wirklich.

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