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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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anderen Seite hin überschritten wurde, ins außergewöhnlich Bewegte, ins Erhebende – oder gar ins Glückliche. Natürlich gab es Leute, die das erkannt hatten. Und einer, der Doktor Jungandres, hatte es dann auch nicht lassen können, eine seiner schwäbelnden Anzüglichkeiten in Umlauf zu setzen: Wissen’s, ein Nickel, das ischt halt so eine kleine Scheidemünzen gewesen, früher, alsch man no awas gekriegt hat für sein Geld …
    Indessen stellte der Major seine Fragen. »Dr. Kautsky war Mitglied unserer Partei? Der Betrieb hat bis fünfundvierzig zu einem Konzern gehört? Seit wann ist Dr. Jungandres im Betrieb? Die Deutsche Papier AG war eine Tochtergesellschaft der DCG?«
    Und schließlich, zum Schluß: »Schön, Genosse Nickel. Und nun sagen Sie mir bitte noch: Ist Ihnen in der Zeit vor der Flucht irgend etwas aufgefallen, irgend etwas Ungewöhnliches? Auch wenn es nicht direkt die Fluchtumstände betrifft?«
    Da war es wieder. Heute morgen bereits, während der Szene mit Brüstlein und Benedix, war es ihm eingefallen, das Gespräch mit dem alten Beimler, gestern, im Bus, als er zur Siedlung hinaufgefahren war, um Ruth abzuholen. Der alte |405| Beimler hatte zum Fenster hinausgestarrt und gesagt: Ein schönes Wetter ist das ja nicht gerade, was sich der Doktor Kautsky für den Urlaub ausgesucht hat. Nickel hatte nicht weiter darauf geachtet, zumal er wußte, daß Kautsky gar keinen Urlaub hatte. Aber der alte Beimler, wenn er einmal ins Erzählen kam, hörte so schnell nicht wieder auf. Weißt du, hatte er gesagt, ich kann jetzt immer so schlecht schlafen, da steh ich halt auch sonntags beizeiten auf und mach schon alles zurecht, für die Frau und den Jungen. Aber der Doktor Kautsky, der ist heute auch schon früh aufgewesen, eh’s noch so richtig hell wurde. Von meinem Küchenfenster aus kann ich ihm direkt in den Garten gucken, seit s’ den Kirschbaum abgehauen haben im vorigen Jahr. Na, also was der so alles in sein Auto geschleppt hat an Koffern und Kisteln, weißt du; wenn unsereins mal paar Tage Urlaub hat, da reicht ein Rucksackl, und dann kommst du ja auch nirgends hin als mal in die Schwarzbeer oder in die Schwamme, höchstens, daß du noch ins Reißig kommst oder Stöcke hacken. Das ist dann so unser Urlaub.
    So hatte er geredet, und Nickel hatte ihn reden lassen. Heute morgen aber, als Brüstlein und Benedix die Hiobsbotschaft von den verschwundenen Unterlagen gebracht hatten und als keiner sich gemeldet hatte am Telefon, da war es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen gefallen. Er hatte es in der Hand gehabt, gestern, zu diesem Zeitpunkt hätte man sie sicher noch erwischen können. Aber wer denkt denn immer gleich an das Schlimmste? Und was ist denn daran auffällig, wenn der Kautsky am Sonntagmorgen ein paar Koffer in sein Auto packt? Ausgelacht hätten sie mich. Er sah nun den Major an und dachte: Hinterher ist gut reden, mein Lieber. Wozu soll ich dir das noch brühwarm auf die Nase binden? Der alte Beimler wird es sowieso überall herumerzählen …
    Nein, sagte Nickel, er wisse nichts.
    Der Major schien auch gar nichts anderes erwartet zu haben. Nickel versprach, daß er anrufen würde, falls ihm nachträglich |406| noch etwas einfiele – allerdings sei das ziemlich unwahrscheinlich. Über das Gesicht des Majors kroch zum ersten Mal ein flüchtiges Lächeln; er schien da so seine Erfahrungen zu haben. Er verabschiedete sich dann auch gleich und ging.
    Nickel stand am Fenster, er atmete auf. Draußen ging der Major über den Hof, ohne Mantel, den Uniformrock korrekt geschlossen vom ersten bis zum letzten Knopf, die Füße leicht auswärts gerichtet beim Gehen. Wenn man ihm nicht gegenübersitzt, dachte Nickel, sieht er ganz anders aus. Die angenehmste Arbeit ist das vermutlich auch nicht, immer nur Verbrecher, Saboteure, Agenten; immer nur Wachsamkeit, Bereitschaft, auf der Hut sein.
    Es war nun Mittag, die Reparaturschlosser kamen aus der Werkstatt, trafen sich wie jeden Tag mit den Mädchen vom Papiersaal, nahmen den Weg zum Speiseraum, trieben ihren Ulk miteinander wie je. Da kam auch der Dr. Jungandres, allein heute, sonst war er meist mit der Laborleiterin zu Tisch gegangen, aber die war ja nun fort. Es war nun auch für Nickel Essenszeit.
    Spät am Nachmittag kam dann der Direktor der Hauptverwaltung, kam zusammen mit einem Ingenieur Innstetten und einem Manne, dem das Kaufmännische schon von weitem anzusehen war; er begab sich denn auch sogleich ins Büro des kaufmännischen

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