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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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das Ausland Entwicklungsmöglichkeiten bot, an die in Deutschland nicht zu denken war, und ferner, weil er längst erkannt hatte, daß die im Reich vorherrschende Praxis des altväterlichen Einzel- und Kleinbetriebes längst überholt, längst zu eng, längst konkurrenzunfähig geworden war. Er veröffentlichte in Fachblättern, promovierte 1932, man wurde aufmerksam. Ende zweiunddreißig holte ihn die Deutsche Papier AG zunächst in ihr größtes, aber veraltetes Werk, das Stammwerk an der Elbe, schickte ihn dann in den damals noch kleineren Bermsthaler Betrieb.
    Der Dr. Jungandres wurde Kommerzienrat Nüßlers rechte Hand, focht einen jahrelangen zähen Kampf gegen den konservativen Alten, er war kein Streber, vielleicht ein Neuerer, er hatte Ideen – und er bekam denn auch schließlich, gegen Kriegsende zu, den Betrieb nahezu unumschränkt in die Hand.
    Der Tag aber, an dem der Dr. Jungandres nach Bermsthal gekommen war, war ein historischer. Es war der dreißigste Januar dreiunddreißig, Tag der Machtübernahme, Tag, an dem das deutsche Monopolkapital Herrn Hitler endgültig installierte, heilige Allianz der bürgerlichen Gesellschaft, Beginn des tausendjährigen Reiches. In Bermsthal blieb alles ruhig, erst am nächsten Tag demonstrierten ein paar Arbeiter, Gewerkschaftler und Kommunisten, aber die Sozialdemokraten hatten keine Weisungen aus ihrer Zentrale und blieben gemütlich, es verlief alles im Sande. Erst achtundzwanzig Tage später wurde es unruhig, der Deutsche Reichstag war abgebrannt, waren es nun die Kommunisten oder war es Herr Göring selber, die einen prügelten sich mit den |412| anderen, ein paar Arbeiter wurden verhaftet, fatalerweise auch drei, vier Sozialdemokraten, wer andern den Finger ins Maul steckt, der will gebissen sein. Auf die Verhaftungen hin kam nun doch eine große Protestdemonstration zustande, SA und Polizei standen schlagbereit, die Demonstration wurde niedergeknüppelt, Kommunist wie Sozi, Gewerkschaftler wie Christ, anschließend fehlten von den sechsunddreißig Kommunisten, die es in Bermsthal gegeben hatte, sechsunddreißig; von den hundertfünfzig Sozialdemokraten fehlten auch einige. Ein paar davon kamen nach Wochen wieder, ein paar später, ein paar sehr viel später, die meisten kamen nie. Es ist aber Deutschland ein Land, in dem sich die Gemüter ungemein schnell beruhigen. Der Herr Hitler würde sich schon abwirtschaften, nichts wird so heiß gegessen, wie’s gekocht wird.
    Indes war der Lärm laut genug, daß er auch bis zum Dr. Jungandres drang. Zwar war der vollauf damit beschäftigt, die Produktion, die Technologie, das ökonomische Ganze kennenzulernen; in beiden Werken war je eine nagelneu gebaute Maschine im Probebetrieb, die Papiermaschine drei und die Kartonmaschine fünf – die Unruhen störten die Arbeit beträchtlich, und der Dr. Jungandres hatte alle Hände voll zu tun – aber so abgelenkt, so privatisiert auch war er nun wieder nicht, daß er nicht doch bemerkt hätte, was da geschah: er sah es beunruhigt. Überhaupt: Interessen und Neigungen des Dr. Jungandres lagen zwar nicht auf politischem, sondern auf ökonomischem Terrain; dennoch oder gerade deshalb hatte er sich durchaus Gedanken gemacht über das Schicksal seines Landes, über Zukunft und Gegenwart. Der Dr. Jungandres hatte zum Beispiel die Erfahrung gemacht, daß deutsche Arbeiter, Techniker und Wissenschaftler in der Welt draußen recht geschätzt waren und in ihrer Fertigkeit, ihrer Bildung, ihrer fachlichen Qualifikation den Arbeitern und Technikern anderer Länder sehr oft ein gutes Stück voraus. Er hatte auch erlebt, daß die deutschen |413| Erzeugnisse im Ausland sehr gefragt und denen der Konkurrenz-Länder oft überlegen waren. Er hatte also Grund, auf die deutsche Arbeit und die Geschicklichkeit der Deutschen stolz zu sein. Dennoch: wenn er von einem seiner Auslandsaufenthalte heim ins Reich kam, fand er dort nichts von dem Wohlstand und der glücklich-fleißigen Gemeinschaft, die als Entsprechung doch eigentlich hätte dasein müssen. Im Gegenteil, er fand Elend, Hunger, Arbeitslosigkeit, Parteigezänk. Er fand, daß der Mann von unten in diesem von Partei- und Gruppeninteressen zerrissenen, diesem mächtig sich anstrengenden, aber von oben her lächerlich engstirnig, kraftlos und bürokratisch verwalteten Land keine ehrliche Chance hatte – das tat ihm sehr weh, er schämte sich für Deutschland, er sah aber auch keine Möglichkeit der Besserung, oder fast keine. Von links her

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