Rummelplatz
Was denn sein solle. Ob hier stehen etwa verboten sei. Das gerade nicht. Haben wir es aber gar nicht gern, wenn uns einer beschnüffelt, können wir verdammt unangenehm werden, klar? Schon gut, Mann, geh ja schon. Ging also, verschwand in der Menge. Aber die Spannung blieb. Ging auf einmal auch einer der Ihren, dieser Siggi Hahner, trat beiläufig ein paar Schritte beiseite und war verschwunden und kam nicht zurück, der wollte wohl besser nicht dabeigewesen sein, der wollte hier wohl nicht mehr gesehen werden, nicht wahr. Mal die Flasche her, sagte Titte Klammergass, die geht wieder rundum.
Bergschicker, als er mit dem Radieschen von der Tanzfläche zurückkam, spürte etwas. »Was ist denn los?« Er bekam aber keine Antwort. »Quatsch«, sagte Spieß, »holen wir lieber noch ein paar Pullen.«
Die Kapelle hatte wieder zu spielen begonnen, take the atrain, Boogie dann, blecherne Tutti, die Tanzfläche ächzte. Das ging aber über die Köpfe hin und ging in die Gelenke und ein Schulterwogen, das über den Platz lief und anbrandete und wiederkam, das bebte im glasigen Licht aus Kanülen und Lautsprechern, Chorus, break, Geschrei bei den fans, das machte aber ganz schön was her. Und da haben wir auch schon die Bescherung, na bitte. Wenn nicht ordentlich getanzt wird, wird die Tanzfläche geräumt. Irgend so ein Armbindenmann, Oberordner, Kulturaufseher, stand da am Mikrofon, hatten einige bißchen auseinandergetanzt, harmlos. Aber wehe, wenn einer nicht alles so macht, wie die es gemacht haben in |515| ihrer Jugend vor zweitausend Jahren, Ringelreihe mit Schalmeienklang, da verstanden die keinen Spaß. Na – und nun johlte die Meute, pfiff, randalierte. Hat vielleicht jemand was anderes erwartet? Die Musikanten grinsen scheinheilig. Fiedeln einen Wiener Walzer. Den Witz versteht jeder, außer dem Oberkulturarmbindenamtmann, für den der Witz eigentlich gedacht ist, aber die haben natürlich keinen Nerv für so was. Und nun?
Nun einen Hit. Einen von der schärfsten Sorte. Ganz rechts an der Ecke haben sie ein bißchen Platz gemacht, da schaffen sich so zwanzig, dreißig Figuren, die andern stehen im Kreis und klatschen Takt. Das ist natürlich eine Provokation. Da muß selbstverständlich eingegriffen werden, durchgegriffen, kämen wir denn sonst hin? Kann doch nicht jeder machen, was er will? Befehle der Obrigkeit einfach mißachten? Leben wir in einem A+B-Staat, und die Obrigkeit weiß schon, was gut ist für jedermann.
Zwanzig Leute also tanzen Boogie, und vom Rand her schieben sich die Ordner heran, hinterdrein Polizei, bilden eine Kette, drängen die Taktklatscher von den Tänzern ab, was aber nur teilweise gelingt, und das ist schlimm. Nämlich: es haben jetzt zehn Ordner plus zwanzig Polizisten von der einen Seite her fünfzig Leute gegen sich von der anderen. Wer läßt sich schon gern abführen wegen bißchen Tanzen. Passiert zwar weiter nichts, fliegt bloß raus, aber immerhin. Wenn freilich einer nicht will, ist das Widerstand gegen die Staatsgewalt, und die geht vom Volke aus. Also weichen die fünfzig. Gehen langsam zurück. Handgemenge nur an den Kontaktstellen. Zwei werden abgeschleppt. Alles manierlich. Aber nun Verstärkung bei der Polizei. Trillerpfeife, ein Hund hechelt an der Leine. Und die band spielt plötzlich wieder, wohl auf höheres Geheiß. Die ersten Pfui-Rufe. Und die kommen genau auf uns zu.
Näher kommt der Tumult, näher. Staub wirbelt auf. Im Hintergrund die grüne Minna, wo sie die so schnell herhaben?
|516| Schwenk seitwärts, denn da ist die Mauer, unter der Kastanie durch, ist das nicht das Askesegesicht? Genau Frontlinie, Stockung. Gegenstrom, Neugierige, solche, die mitmischen wollen, die es ihnen geben wollen, haut sie! Nebenbei versagt die Lichtanlage. Schlag unter Polizistenkinn, ein Ordner bricht zusammen, Schlagring, Gummiknüppel, einen haben sie, haben ihn nicht mehr, Blut, Dreck, über die Mauer gehen die ersten, nur raus hier, raus hier, weg …
Den Schlag eines Gummiknüppels spürt man hauptsächlich in den Kniekehlen. Der mit dem Schlagring zugeschlagen hatte, wurde von drei Polizisten weggezerrt. Ein Polizist wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Schlug zurück, Gegenschlag, ging zu Boden. Über ihn hinweg der Aufruhr. Kampf mit Fäusten und Gummiknüppeln, Schlagringen und Steinen, ohne Pardon, ohne Übersicht, ohne Sinn. Viele drängten weg, konnten nicht mehr, schlugen zu, jeder gegen jeden. »Über die Mauer!« schrie Spieß, zerrte das Radieschen hoch,
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