Rummelplatz
hätte – unmöglich aber schien ihm, daß Bergschicker in eine derartige Geschichte verwickelt sein könnte. Der Artikelschreiber hatte das Kind zwar nicht recht beim Namen genannt, daß es sich aber zumindest um Landfriedensbruch handelte, war klar: Bergschicker und Landfriedensbruch, Bergschicker unter randalierenden Achtgroschenjungs – das war völlig unvorstellbar.
Während der Schicht sprach Fischer mit Spieß. Der ließ durchblicken, daß er mit der Sache nichts zu tun haben wolle, es stünde ja alles in der Zeitung, und die Presse habe bekanntlich immer RECHT! Hermann fragte, ob denn Bergschicker und Loose vor allem nicht Spieß’ Freunde seien und ob er, vorausgesetzt, die Darstellung in der Zeitung sei unrichtig, seinen Freunden nicht helfen wolle. »Helfen?« sagte Spieß. »Einem, über den so etwas in der Zeitung steht und den sie obendrein auf Nummer Sicher haben, ist nicht zu helfen.«
Was sind das nur für Symptome, fragte sich Hermann Fischer. Diese Resignation. Diese Verbitterung. Dieses verzerrte, |520| mitleidige, erstarrte Lächeln. Und vor allem: trauten sie denn auch ihm nicht mehr?
Auch Margit las in der Zeitung von den Vorfällen auf dem Parkberg. Man hatte in der Papierfabrik darüber gesprochen, sie hatte es zur Kenntnis genommen, auch jetzt, als sie den Artikel las, las sie ihn als einen Bericht von etwas sehr Entferntem. Zwar wunderte sie sich, daß Peter nicht kam, die Gründe dafür suchte sie aber in ganz anderen Gegenden. Daß er auf dem Parkberg verhaftet worden war, erfuhr sie erst mittags in der Werkskantine von dem Radieschen. Bis Schichtschluß überlegte sie, ob sie etwas tun könne und was – und wie. Dann nahm sie den nächsten Bus zur Kreisstadt, erkundigte sich nach dem Kreisgefängnis, meldete sich an, wurde auch vorgelassen. Ein älterer VP-Hauptwachtmeister hörte sie an, fragte, ob sie mit dem Inhaftierten verwandt sei und in welcher Beziehung sie zu ihm stünde. Sie sagte, sie sei seine Verlobte. Der Hauptwachtmeister schrieb ihren Namen und ihre Adresse auf eine Karte, erklärte ihr, für Untersuchungsgefangene gäbe es nur beschränkt Sprecherlaubnis, aber er wolle sehen, was er tun könne, und im übrigen könne sie ihrem Verlobten natürlich schreiben.
Sie schrieb noch am gleichen Abend. Aber die Antwort ließ lange auf sich warten. Nach drei Wochen schließlich bekam sie Peters ersten Brief. Er war auf einen vorgedruckten Bogen geschrieben, nach Art der Feldpostbriefe, die sie noch kannte von ihrem Vater her. Margits Mutter fragte, was denn das für seltsame Post sei. Da erklärte sie ihr alles. Frau Radochla sagte: »Du bist alt genug, du mußt wissen, was du zu tun hast.«
Christian Kleinschmidt erfuhr von den Ereignissen und von Peters Verhaftung erst Wochen später. Daß auf seine Karte keine Antwort gekommen war, wunderte ihn wenig, er wußte, wie schreibfaul Peter war. Außerdem wohnte er nun zu weit entfernt, in seiner anderen Zeitung stand von anderen Ereignissen, auch von anderen Verhaftungen, Schieber wurden |521| verhaftet, Spekulanten, einmal ein Sittlichkeitsverbrecher, immer wieder Fälle von Steuerhinterziehung, Schwarzschlachtung, Schleichhandel, Nichterfüllung der gesetzlichen Ablieferungspflicht.
Peters Mutter erfuhr von der Verhaftung zuallerletzt. Als sie es Kahlert sagte in ihrem Schreck und ihrer Ratlosigkeit, sagte der: »Dein Sohn!« und »Da hast du dir ja was großgezogen!« Auch er erklärte, zu helfen sei da nicht. Jeder müsse auslöffeln, was er sich eingebrockt habe. Er jedenfalls, er wundere sich gar nicht, das hätte ja kommen müssen, das hätte man ja geradezu voraussagen können.
Es sah fast so aus, als freue er sich.
Freistunde. Mauer rechts, Rundgang, Mauer vorn, hinten Mauer, Betonplatten im Oval, die den Weg bezeichneten, den vorgeschriebenen, Freistunde, die zwanzig Minuten hat, denn das Untersuchungsgefängnis ist überfüllt, die Zeit reicht nicht, das Untersuchungsgefängnis, grauer Block, dreistöckig, Gitterfenster zur Hofseite, Holzblende vor den Gittern zur Straßenseite, Freistunde.
Die Posten stehen in der Ovalmitte, gleichmütig, gewohnheitsmäßig, sehen aber sofort, wenn einer in der Ecke den vorgeschriebenen Abstand verringert, der beträgt drei Meter. Einer von ihnen raucht, belauert von den Untersuchungshäftlingen, jedenfalls den meisten, es könnte sein, er wirft die Kippe so weg, daß man sie unbemerkt aufheben könnte, was zwar verboten ist, aber die Wachtmeister dieser Schicht sind nicht
Weitere Kostenlose Bücher