Rummelplatz
worden in die beiden Studebakers, die für längere Strecken in Bereitschaft standen. Irgend etwas mit Streichern. Aber von draußen kratzte die Hochspannungsleitung herein, die lief ein Stück neben der Straße her, als sie abbog, sang dieser Frohberg. Ein kleiner Elefant. Stapfte traurig durch das Land. Weil er keine Elefantin fand. Dann hatten sie eine Weile Nachrichten und die Morgengymnastik, da drehte Titte Klammergass weiter. Von RIAS- Berlin hören Sie. Mal beim Klassenfeind naschen, sagte Titte Klammergass. War ja auch ganz schöne Musik.
Weiß ich noch, sagte Hermann Fischer, als ich in eurem Alter war, da kamen gerade die ersten Radios auf. Das waren vielleicht Kästen. Noch mit Kopfhörer und so und mit Detektor, und was die für Sendungen hatten, gar nicht zu beschreiben. Ich weiß noch, einmal war ich bei einem Freund, die hatten da diesen Arbeiter-Radiobund, das muß so um |586| dreißig herum gewesen sein. Also erstens: Bis man so einen Sender überhaupt gefunden hatte, das war schon ein Ereignis. Und dann war fünf Minuten der Ton weg und zehn Minuten Störung und dann sang mal einer ein Lied, und jemand erzählte etwas von Sarotti-Schokolade und: Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, auch dort putzt man die Schuhe mit Urbin; also das war wirklich sehr schön. Und heute, da haben die sich ganz schön herausgemacht in den paar Jahren. Da werden wir nun wohl auch noch das Fernsehen erleben, nicht wahr …
Natürlich. Und was sind das für Zeiten.
Nun wird der das wohl aus einem kühlen Grunde erzählen, dachte Christian. Nämlich, damit er nichts sagen muß von wegen RIAS-Hören und dergleichen. Hat er das glatt überhört. Denn es gibt Leute, die haben so eine Art zu fragen: Höre ich recht, der Genosse Parteisekretär sitzt da mit einem jungen Genossen und einem Parteilosen, und sie hören kollektiv Hetzsender ab? Ferner während der Arbeitszeit? Und nun etwa zu sagen, es sei da gerade so schöne Musik gewesen, so naiv war natürlich keiner mehr. Wäre das selbstredend eine glatte Bagatellisierung gewesen nebst Zurückweichen günstigstenfalls. Und der ganze geordnete Unsinn ihres Tuns und Lassens. Dabei war das die Regel, wie jeder wußte, denn wer war schon ernsthaft scharf auf die lackierten Nachrichten von denen oder gar auf WIRSPRECHENZURZONE. Also lassen wir das. Und andererseits hatte Fischer natürlich recht mit Technik und schnellebiger Zeit. Da sah man: Fernsehen ist für uns, was für ihn Rundfunk war, der kommt uns vor, als ob er schon immer da wäre, dabei muß das ganz schön aufregend gewesen sein vor gerade erst fünfundzwanzig Jahren. Ja, und wenn man sich den Hermann Fischer damals vorstellte, mit Schirmmütze und Henkelmann und gelegentlich in der Rotfrontkämpfer-Kluft, und wenn man sich heute sah und fünfundzwanzig Jahre vorausdachte, was dann sein würde und wie man sich etwa ausnähme dabei, |587| oder aber man stellte sich vor, das Eigene nicht begonnen zu haben als eines Professors Kleinschmidt Sohn, sondern sagen wir in Fischers Haus, Fischers vormaliger Zweizimmerwohnung, Fischers schlichter, aber gerader Welt des ›Wem nützt es‹, und in seinem unbedingten Ja natürlich – was wäre so gekommen und was so? Fragen, die sind nicht beantwortbar. Denn man kann seine Väter nicht wechseln nach Bedarf – und von den Eltern kommen wir immer. Nur vorstellen manchmal, das schon. Denn die Erwachsenen haben ziemlich lange recht, diese wie diese, wenn auch nach verlorenen Kriegen etwas weniger lange: vielleicht, daß man eher hingefunden hätte, vielleicht nicht – es sind nur zum Teil die Väter und zum geringsten die leiblichen. Aber wenigstens daß da einer ist, dem man dies sagen möchte. Und der verstehen würde, daß die Söhne nie genau das und genau so tun können, wie die Väter taten, und hätten sie der besten einen – immerfort müssen die Jungen das Ihre hinzutun, und unbewältigte Vergangenheit bleibt hier wie dort, wenn nicht die Gegenwart bewältigt wird, wenn nicht die Zukunft. Das wissen viele, solange sie jung sind, und vergessen die meisten, wenn sie älter werden, dabei ist das noch nicht einmal die Hauptsache. Da gibt’s noch eine ganze Menge anderer Sachen, die sind genauso wichtig, und es gibt sogar wichtigere. Deshalb findet man sich auch so schwer zurecht.
Aber es ist da ein Mädchen, das ist vielleicht näher als alles andere. Kommt von dort, wo wir nicht herkommen, will hin, wo auch wir hinwollen – und hätten einander vielleicht nie
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