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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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feinen Kommunismus aufbaut? Ja freilich, das ist bei Marx nicht vorgesehen. Es ist vom Kommunismus das genaue Gegenteil. Aber leider sehen wir ja immer mal wieder, was einer in Marx’ |590| Namen aus Marx machen kann, sofern er nur rechthaberisch und unfähig genug ist. Und wir vermuten: unserem Verrückten würde da schon etwas einfallen, diese Typen haben ja Übung. Und da die anderen sogar weitaus mehr Übung haben als die bei uns vorkommenden Verrückten, wie die Geschichte erhellt: Was machen wir, wenn sie immer vor unserer Nase an der Bombe herumgokeln und schreien: Rückwärts, Leute, im Namen unserer Freiheit, wir wollen auch mal bißchen eingemeinden, Leute, Korea ist eigentlich amerikanisch und Polen deutsch, Leute, und wenn ihr uns nicht machen laßt, dann drücken wir eben ab. Dann bräche wohl oder übel der letzte Krieg an, und es wäre Schluß mit der Menschheit. Aber vielleicht sollten wir die Zeit nutzen, solange es wenigstens bloß zwei Atommächte gibt, solange sie einigermaßen gleich stark sind, um ernsthaft und mit aller Kraft Demokratie zu verbreiten, Vernunft zu entwickeln, vielleicht sollten wir uns auf die Bekämpfung eben dieser Übungen einlassen, wo immer wir sie treffen, im Größten wie im Kleinsten – es wäre vielleicht unsere Chance? Und sollten nicht gar so ruhig schlafen, weil wenigstens auf einem Stückchen Erde die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgeschafft ist, weil wenigstens dort Aussichten auf menschliche Zustände eingetreten sind – welch Unmaß an Hoffnung! Sollten vielmehr die sinnvolle Unruhe fördern, sollten sagen: Denken ist die erste Bürgerpflicht; sollten sagen: welch Maß an Verantwortung … Ja, das ist ein ziemlich alter Gedanke. Und er ist zweitausend Jahre lang nichts gewesen als eben das. Es wäre unerhört neu, ihn in die Praxis umzusetzen – in einem ganzen Land, einem ganzen System, vielleicht einmal auf der ganzen Welt. Und sollte sich unter den Maßgeblichen einer finden, der damit ernst macht ohne Demagogie, der die Chancen der Rechthaberei, der Unvernunft und der sanktionierten Unfähigkeit mählich abbaut – der wäre ein wirklich unverschämter Bursche und wäre der größten Marxversteher einer. Und wäre eben deshalb unser Mann.
    |591| Das war an der großen Brücke, unweit Zwickau, sie waren vorangekommen. Draußen hatte sich ein kleiner Regen eingerichtet, aber der störte sie weiter nicht. Höchstens Titte Klammergass, denn die Straße war nun schmierig. Das kriegten sie zu spüren, als sie einen H3A überholen wollten, es ging aber noch einmal gut.
    Und Christian dachte noch: Was aber dieses Mädchen angeht, so steht geschrieben im Buche Ruth: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch – denn es sollte ein Name bleiben in Israel, das ist uns eingefallen in der gestrigen Nacht. Also gingen sie hin, Boas vom Geschlechte der Elimelechs und das Mädchen aus dem Moabiter Land, zeugten einen Sohn, der hieß Obed und ist der Vater Isais, welcher ist Davids Vater, dieser aber einte sein Volk, und das ist vielleicht eine Möglichkeit, wenngleich: Der kann es nicht machen wie dieser. Das dachte Christian. Da waren sie aber auch schon mitten in der Stadt.
    Rauch hing aus den Schornsteinen, der kam nicht hoch. Und die Straßen waren eng, die Stadt war grau, der Tag war trübe. Zwei Stunden noch, ungefähr, sagte Hermann Fischer. Und Christian sagte: Ja, anderthalb bis Leipzig. Und es war mäßiger Betrieb in den Straßen, nichts Besonderes weiter, ein Tag wie alle Tage.
    Auch später noch. Hermann Fischer hatte die Thermosflasche hervorgeholt, er gab jedem einen Becher Kaffee, hatte auch ein Paket Brote dabei, von Ruth zurechtgemacht. Nebenher lief das Radio. Zeitweise hörten sie hin. Als aber die erste Nachricht kam, hörten sie gerade nicht hin, sie erwischten nur den Schwanz der Meldung. Das war kurz vor Altenburg. Dann kam durch die ganze Stadt hindurch nichts weiter, und übrigens war auch hier nichts Außergewöhnliches zu sehen, wer denkt schon an so was. Erst als sie aus der Stadt heraus waren, meldete sich der Sprecher wieder, RIAS-Ber lin , kam er wieder durch über dem Motorgeräusch und wollte wissen, es sei ein Streik ausgebrochen bei den Berliner |592| Bauarbeitern, wegen der zehnprozentigen Normerhöhung, und in der Zone sei der Generalstreik im Gange, die Regierung solle gestürzt werden, das wollte der wissen, und danach kam dann wieder Musik. Da sahen sie sich eine Weile an. Und

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