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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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einer von uns, das ist er gewiß, eben deshalb auch ist er eine entschiedene Antwort wert; und möge jeder bedenken, wie oft er sie ihm vorenthalten hat, bevor er sich an die Brust schlägt.
    Wenig später kam Ruth, setzte sich still in den Erker und sah ihnen zu – da wußten sie beide, daß er gegangen war. Sie beobachtete ihn, diese irgendwie linkische und doch so dauerhafte Art, sich über einen Tisch zu beugen, die aufmerksame Bewegung, die sich mitteilte und Ruhe übertrug und doch nicht ganz bei sich war: Es sind deine Augen, dachte Christian, die nun die Hand geführt haben über diese bislang saubere Zeichnung, und haben jenen abgeglittenen Kreisbogen verursacht, den wollen wir aber nicht radieren, den wollen wir lassen, wo er ist, und so fangen wir noch einmal von vorn an.
    Eine andere Art von Verläßlichkeit, aber auch eine, wenn sie empfunden wird. Und er legte das Blatt beiseite, nahm sich |583| ein neues vor, aber sie sah die kleine Unsauberkeit, und es war die einzige auf einer fast fertigen Zeichnung, da mochte sie wohl zum erstenmal an ihn gedacht haben nicht als an ihres Vaters Kollegen und jüngeren Freund vielleicht, oder vielleicht auch, daß es diese spöttischen Augen waren, die er nun vor sich selbst bekam, als sei ihm gerade die Bedeutung dessen aufgegangen, was er eben getan hatte. Fischer aber stopfte seine kurze Pfeife und sagte: »Es sind diese verdammten Zeichensachen, mit denen unsereins nicht zurechtkommt, wenn man es wenigstens noch machen könnte mit einem Zimmermannsblei.« Und ob Christian nicht Lust hätte, mitzufahren am Mittwoch, wirklich, es wäre ihm sehr lieb, wenn er ihn dabei wüßte. So hatte also alles seine Richtigkeit, selbst, als Christian ein bißchen sehr schnell ja sagte. Und Ruth ging aus dem Zimmer und kam mit ihrer Strickjacke zurück, da prüfte Christian dies noch einmal nach und jenes, was im Grunde längst sicher war. Das wußte aber außer ihm keiner, sie sahen nur, daß es eben seine Zeit braucht, bis solch eine Zeichnung fertig ist.
    Es braucht eben alles seine Zeit.
    Und sie saßen noch lange so, sprachen wenig, die Tauben draußen gurrten schon lange nicht mehr. Ein Falter kam herein durch das geöffnete Fenster, flog die Lampe an, stieß seinen harten Brustpanzer am Schirm und taumelte zurück und flog das Licht von neuem an, das war ein Geräusch, das sie alle aufsehen ließ. Er kam immer wieder und prallte mit immer erregteren Flügelschlägen gegen das Glas – es war etwas Verzweifeltes in diesen vergeblichen Flügen. Erst als er sich ermattet und zitternd am Lampenbügel niederließ, war ihm zu helfen. Da nahm ihn Christian herab, vorsichtig, um die Flügel nicht zu berühren, die sofort wieder erregt schlugen, als er den Leib faßte, hob ihn herab und ließ ihn frei vor dem Fenster. Und Ruth war mit herübergekommen, sie zog die Gardine vor und ließ die Jalousie herab, es wäre wohl auch sonst ohne Sinn gewesen. Aber das ist nun nichts Besonderes.
    |584| Nur, daß ein Vorgang dieser Art eben ein gemeinsamer ist. Und vielleicht, daß eine Erinnerung war über Jahre zurück, nachts oder eines späten Abends: Es wird beginnen in meines Vaters Haus – vielleicht. Als Hermann Fischer die beiden Blätter sorgsam in einer Mappe verwahrte, als sie sich ansahen im Einverständnis getaner und wohlgeratener Arbeit und ihre stille Freude bemerkten, da war wohl doch etwas anderes noch, und sie hätten es fast schon benennen können. Aber wie heißt das, was uns so betrifft? Etwas, das noch so leis ist und kaum entstanden, soll man wohl nicht gleich mit Worten belegen. Es ist genug, wenn man es spürt.

|585| XX. Kapitel
    Mittwoch, den 17. Juni, fuhr der graue Studebaker, zugelassen für dreieinhalb Tonnen, sehr früh aus dem Tal – gegen sieben Uhr waren sie schon auf der Zwickauer Fernstraße. Der Fahrer hieß Titte Klammergass, er kaute an einem trockenen Brötchen, das behielt er angebissen im Mund, wenn er schaltete, und es war oft zu schalten hier am Berg. Hermann Fischer und Christian Kleinschmidt pfiffen etwas, das klang, als wollten sie sich ein bißchen lustig machen über diesen Klammergass, wie er an der Schaltung fummelte und die Gänge wechselte und nicht zum Essen kam. Also das war ein fröhlicher Tag. Der fing an wie eine Landpartie.
    Der Morgen war kühl, immer noch zu kühl für die Jahreszeit, aber das spürten sie nur auf den ersten Kilometern. Titte Klammergass hatte das Radio eingeschaltet – es waren kürzlich welche eingebaut

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