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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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tat halt so, als wäre da gar nichts Auffälliges, tat man halt so als ob. Fischer jedenfalls tat ganz und gar so. Und sie reichte Christian die Schüssel mit den Puffern herüber, lächelte ein bißchen, aber das sieht man schon, wenn einer in Gedanken ganz woanders ist.
    »Tja«, sagte nun Hermann Fischer, »wie haben sie es denn aufgenommen bei euch?«
    Ja, wie. Das war natürlich eine Frage, die paßte in diesen Tag, die sah nicht so aus, als ob einer nach dem Wetter fragt, nur damit die anderen was zu reden haben. Ja, wie. Aber dieser Nickel wollte sich wohl nicht äußern. Und Fischers Tochter hatte einen goldgelben Puffer an der Gabel, sie saß sehr aufrecht und sah mit ihrem bedächtigen Blick an Christian vorbei und vorbei an den anderen, sagte aber dann doch etwas. Ein großes Aufatmen also habe sich zugetragen. Es sei der ganze Betrieb aus dem Häusl gewesen, und überall hätten sie gestanden und geredet und ihre Meinung gesagt wie lange nicht. Allerdings: so ganz und gar einhellig sei die Freude nun leider und wiederum nicht gewesen. Als ob etwas gefehlt hätte in allem, wo nicht gar das Wichtigste. Also hätten viele von den Normen gesprochen und von diesem Regierungsbeschluß, der nun vierzehn Tage zurücklag, der aber die Norm für alle schlagartig um zehn Prozent erhöht hatte. Viel böses Blut, sagte sie. Und es gab wohl weiß Gott Normen, wo einer sich sieben Stunden bei schlafen legen konnte. Es gab aber auch andere. Und ob etwa nicht einzusehen sei der Unterschied von einem, der hundert Mark einbüßt von tausend, zu jenem anderen, der fünfundzwanzig einbüßt von seinen zweihundertfünfzig. Der nämlich habe so und so kein Auskommen, aber so schon gar nicht.
    Und davon hatte nichts in den Zeitungen gestanden, das war allerdings wahr. »Jaja«, sagte Hermann Fischer, nickte vor sich hin, »jaja.« Und es ist dies wahrhaftig eine Sache, die |579| bedacht sein will von vielen Seiten, das sicher, aber bedacht werden muß sie.
    Nun dieser Nickel. Hatte auf einmal seinen wilden Blick und erklärte, da könne man sich ja gleich begraben lassen, wenn sie etwa diesen Beschluß auch noch rückgängig machen wollten. Sowieso sei das heute der schwärzesten Tage einer für den Sozialismus. Und er könne da nur sagen, das ginge unmöglich mit rechten Dingen zu, soviel Rücksicht auf einmal mit all diesen kleinbürgerlichen Überbleibseln, soviel Entgegenkommen den Rückständigen und Indifferenten, einen guten Dienst habe man der Sache des Sozialismus damit wahrlich nicht erwiesen. Er also, er sähe da zu übertriebener Freude gar keinen Anlaß, gar keinen. Und nicht ein Schritt zurück sei da getan worden, wie es der große Lenin ausdrücken würde, sondern mindestens zehn. Und weil wir nun schon bei ihm sind: Das ist ja bekannt, welchen Spott der übrig hatte für Versöhnler und Zurückweichler, und was der etwa sagen würde zu solchen Neuerungen.
    Je nun.
    Wußte man wenigstens, woran man war.
    Fischer aber, Fischer wollte das wohl nicht überhört haben. Was vielleicht noch das Beste wäre in solchen Fällen. Denkt sich einer: Mach mal halblang, und dann abgeheftet unter M wie Makulatur. Fischer also schmeckte seinen Kartoffelpuffer und legte die Worte zurecht, und dachte eben noch bei sich: Erstaunlich, wie einer, der das Gebäude der Kreisleitung beispielsweise nie betreten konnte ohne ein sozusagen Schuldgefühl und ohne die Angst, ob sie denn auch zufrieden sein würden mit ihm und ob er denn auch alles allen recht getan hätte, wie er uns einmal gestanden hat, erstaunlich also, wie so einer sich mausert zu Unnachgiebigkeit bei ausgerechnet diesem Anlaß. Dachte er eben noch. Und dann sagte er: Eine solche Meinung, wie der Genosse Nickel da habe, könne er nun doch nicht unwidersprochen hinnehmen, das könne er nun wirklich nicht. Gewiß, sagte er, Kompromißlosigkeit, |580| Konsequenz, Nachdruck, das seien unentbehrliche Eigenschaften für Leute, die Gesellschaft und Welt verändern wollen zu deren Besten. Aber eben es gäbe da einen Punkt, wo diese guten Eigenschaften ganz plötzlich umschlagen in Dogmatismus, in Sektierertum, in Unrecht. Und dieser Punkt sei schneller überschritten, als mancher wahrhaben wolle. Fanatismus, das wäre nun gewiß ein hartes Wort, aber er sähe nicht, wie es vermieden werden könne, sagte er. Und freilich: wir arbeiten zu unproduktiv, unsere Normen stimmen nicht, wenn wir vorankommen wollen, und wir wollen nicht bloß, sondern müssen, dann müssen wir mehr

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