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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Schachtkoller nannte man das. Als ob es nur der Schacht wäre! Es war das ganze Elend dieses verpfuschten Lebens, dieses Lebens ohne Aussicht, das einen herumstieß, das blindlings einprügelte auf Gerechte und Ungerechte, das wiedergeprügelt sein wollte, und wenn’s nur zur Erleichterung wäre. Denn ausrichten konnte man wenig, allein gegen alle, es war einem eingetränkt worden bis hoch übern Eichstrich. Und Loose holte die Flasche aus der Jackentasche, er goß Kleinschmidts Grogglas voll bis zum Rand und dann sein eigenes, er stieß Kleinschmidt an: »Los, sauf!«
    Kleinschmidt nahm aber nur einen Kinderschluck. Sogar zum Saufen ist er zu fein, dachte Loose. Na, lassen wir ihm |80| Gerechtigkeit widerfahren, er verträgt halt nicht viel. Immerhin, wie er sich durchgebissen hat in den ersten Wochen, das war schon ganz anständig. Loose hatte durchaus bemerkt, wie schwer Kleinschmidt die Arbeit gefallen war und wie oft er nahe daran gewesen war aufzugeben; er war überzeugt gewesen: lange macht der’s nicht. Daß er dennoch durchgehalten hatte, das war eine Leistung, die Loose gelten ließ. Der Mann war nun mal nicht für den Schacht gemacht, wenn man ihn im Duschraum sah, mußte einem das einleuchten. Loose war da aus einem härteren Holz, und er war stolz darauf. Er hatte auch sonst nichts, worauf er hätte stolz sein können.
    Der Steiger hatte das schnell herausgefunden: Dieser Loose war ein Bolzer, aber einer mit Verstand in den Händen, und das war selten. Er war kantig und unverträglich, ein Saufaus und Radaubruder, in der Arbeit jedoch war ihm nichts nachzusagen. Der Steiger war auf jeden Mann angewiesen und auf jede Hand – also stellte er Loose an Arbeitsplätze, an denen es darauf ankam, an denen es hart zuging und einer zupacken können mußte. Loose hatte das natürlich gemerkt, und er sah auch, daß der Steiger mit Kleinschmidt glimpflicher umsprang, ja, daß er geradezu einen Narren gefressen hatte an ihm, obwohl er weniger Leistung brachte. Er dachte: Das ist so die ausgleichende Arbeiter-und-Bauern-Gerechtigkeit. So ein Professorensöhnchen, wenn das in den Schacht kommt, dem wird der Staubzucker pfundweise in den Hintern geblasen. Dagegen unsereiner – kein Hahn kräht danach, ob man sich das Blut aus den Rippen schwitzt und die Knochen abschindet und den Nischel einrennt. Unser wertes Wohlbefinden interessiert im neuen Deutschland keinen Hund. Und dennoch war Loose stolz darauf, daß keiner sich seinetwegen eine Zacke aus der Krone zu brechen brauchte, dennoch gefiel ihm dieses Leben, er nahm die Herausforderung an.
    Und nur manchmal, wenn der Alkohol sein Blut schneller durch die Adern jagte und die Bilder ihn bedrängten in schroffem Wechsel, dann brach etwas auf in ihm, brach hervor |81| aus dem Innersten und gab Ruhe erst dann, wenn er es mit immer schärferen Schnäpsen betäubte, wenn er das Bewußtsein ertränkte in Fünfundvierzigprozentigem. Einst hatte er davon geträumt, ein kühner Forscher und Entdecker zu werden, Heldentaten zu vollbringen und Abenteuer zu bestehen, in die Stratosphäre vorzudringen und auf den Grund des Meeres wie Piccard, Afrikaforscher wollte er werden, Jagdflieger, U-Boot-Kommandant, Mount-Everest-Bezwinger. Er hatte die Abenteuerhefte und Kriegsbücher verschlungen und dem verzauberten Klang fremder Namen nachgelauscht, Narvik, Tobruk, Deutsch-Südwestafrika, er hatte vor den Kinoleinwänden gesessen und ein Held werden wollen wie Trenck der Pandur, wie Rommel und Mölders und Ohm Krüger und hatte sich gedacht, daß die Welt eigens eingerichtet sei für die Nachfahren der Goten und Welfen: und setzt ihr nicht das Leben ein, nichts wird euch gewonnen sein, heil König Widukinds Stamm! Aber nicht die Tage der Siege brachen an, sondern die Amis kamen, dann kamen die Russen. Russen kamen, zogen ein auf Panjewagen und in ausgefransten Mänteln, sie paßten genau in die Landschaft, wie sie nun war: Hunger, Seuchen, Ruinen, Flüchtlingstrecks. Sanglos, klanglos traten da die Helden ab über Nacht, die Hakenkreuze stahlen sich aus den Fahnen, im Luftschutzkeller versteckte sich der Stiefvater, versteckten alle sich, die gestern noch stramm getönt hatten: links zwo drei vier Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen, verkrochen sich vor abgelumpten Muschiks, Ohnetrittmarschierern, winselten um Gnade, schworen ab, verleugneten. Übrig blieb eine Welt ohne Glanz und Schminke, und ohne Hoffnung auch. Es pfiff nun eine Tonart, die hieß: Wer nicht

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