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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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einem armen Schlucker verheiratet, einem Nähmaschinenfritzen, Landser heißt der Mann und ist auch danach. Man hat schon wirklich kräftig danebengegriffen auf der Sitzbrille des Lebens, ganz schön in die Röhre hat man, das kann man wohl sagen.
    Nun mußte aber das Radieschen schnell mal raus, und Titte Klammergass sah eine Gelegenheit, eine seiner handgestrickten Storys anzubringen. Titte fuhr einen Erzkipper und hatte vorher einen Studebaker gefahren, Autos und Sauereien waren das einzige, worüber man sich mit ihm unterhalten konnte. Ferner hatte er seit einem halben Jahr eine miese Tour, pendelte immer bloß die paar Kilometer vom Schacht 412 zur Zeche Stalin rauf und runter, und je langweiliger ihm die Strecke wurde, desto mehr fiel ihm ein. »Leute«, sagte Titte Klammergass, »mir ist heute eine Ische über den Weg gesegelt, mein lieber Mann! Steht da und fragt, ob ich sie nicht nach Erlhäuser mitnehmen könnte, und sie wollte es auch bestimmt nicht umsonst haben. Das sowieso, denke ich mir, aber ich habe ja nun leider in Erlhäuser nichts zu tun.
    Aber das Reh war nicht zu erschüttern. Soso, sagt sie, und sie verdreht die Augen, bis ich richtig weich werde, na und da habe ich sie eben aufgeladen. Aber unterwegs überlege ich mir, dreißig fromme Kilometer, mein lieber Mann, das beste ist, du fährst übern Sommerweg, das sind mindestens zehn Kilometer weniger.«
    »Kiki«, sagte da Peter Loose. Und Spieß sagte: »Übern Sommerweg, da kommste mit ’m T 34 nicht rüber, nicht mal mit ’m Hubschrauber.«
    Und das Radieschen, das inzwischen wieder hereingekommen war, erklärte: »Wer mir das vormacht, der darf mal.«
    »Naja«, sagte Titte Klammergass, »ich hab das ja auch nur gedacht, aber dann bin ich doch lieber die Talstraße gefahren. Jedenfalls beim Schalten fummle ich dem Reh so ’n bißchen über die Knie, und sie hält auch mucksmäuschenstill, |85| und wie wir dann in den Wald kommen, da halte ich den Kahn an und will mein Honorar kassieren. Aber auf einmal war das Reh aus Eis. So ziemlich eine Viertelstunde habe ich’s versucht. Was soll man da machen? Ortseingang Erlhäuser habe ich sie abgeliefert, und als sie mir einen Zehnmarkschein geben wollte, hab ich gesagt, den soll sie sich hinstecken, wo sie Lust hat.«
    »Hahaha«, meckerte der kleine Liebling los, und Heidewitzka meckerte mit, und dann sagte er: »Die hat dich ganz schön aufs Kreuz gelegt, mein Lieber. Der hätte ich eins aufgegeigt, daß die Tannen wackeln. Und dann hätte ich sie im Wald stehenlassen, an der finstersten Stelle, Heidewitzka, Herr Kapitän!«
    »Hm«, machte Titte Klammergass. Er sah sie der Reihe nach an, das Radieschen, den kleinen Liebling, Christian Kleinschmidt und auch Peter Loose, und dann sagte er: »Es geht nämlich noch weiter. Kurz und gut – ich fahre also meine Schicht zu Ende und liefere den Kahn im Objekt ab, und wie ich gerade die Kurve kratzen will, da kommt einer und sagt, daß ich beim Natschalnik antanzen soll. Schön, denke ich mir, wer weiß, was der Alte wieder mal will. Ich bin aber noch gar nicht richtig zur Tür rein, da geht das Theater schon los. ›Na, Jugendfreund‹, schnurrt der Natschalnik, ›nun erzählen Sie uns mal, wie Sie das heute wieder hingezaubert haben mit der Schwarzfahrt.‹ Na, ich gehe natürlich erst mal auf Empfang, schließlich kann ich dem Alten nicht erzählen, daß ich den Kilometerzähler abgeschaltet habe, und wie ich mir noch überlege, woher der Alte etwas wissen könnte, da sehe ich doch auf einmal so einen Spannemann von der Kripo. ›Na‹, sagt der Spannemann, ›bißchen Gedächtnisschwund, wie? Aber diesmal können wir nachhelfen.‹ Und er macht die Tür auf, und was soll ich sagen: Da steht doch mein Reh! ›So‹, sagt der Spannemann zum Reh, ›ist das der Mann?‹ Und das Reh sagt: ›Ja, Genosse Kommissar, das ist er!‹«
    |86| Hei, da johlte die Horde! Bewegte fleißig die Kinnladen. Und das Badergassengespenst japste, und das Radieschen bekam den Mund nicht zu, die Stimmung war nun perfekt. Liebling lallte schon, und angetrunken waren sie alle, Heidewitzka pöbelte den Zeltwirt an, Kaschau schoß Bierdeckel nach entfernten Köpfen, die Horde johlte bei jedem Treffer, johlte, weil keiner aufmucken wollte, denn sie waren hier die stärkste Partei: irgend etwas mußte nun geschehen. Ein Faß mußte aufgemacht werden, ein Königreich für ein Faß! Es war just die Stimmung, die noch ganz vor kurzem die glorreichen Heldentaten gezeugt hatte,

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