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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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blaugemacht haben. Und sie kam geradewegs auf ihn zu, sie gab ihm die Hand und lächelte, und dann nickte sie in die Richtung, wo Christian Kleinschmidt stand und die anderen, aber dabei lächelte sie nicht.
    Ihre Hände waren heute anders, das sah Peter Loose, nicht wie damals in der Bahnhofskneipe und auch nicht wie an den paar anderen Tagen, an denen er sich mit ihr getroffen hatte, kalt waren sie auch, denn es war ein bißchen frostig, aber sonst waren sie ganz weiß und glatt. »Na«, sagte er, »machst wohl ’ne Fehlschicht?« Und das Mädchen Ingrid lächelte wieder, und dann sagte sie: »Ach wo, wegen Renovierung geschlossen.«
    Die anderen aber fingen nun wirklich an. Es gab nur zwei in der Horde, die Chancen hatten, den Rekord zu brechen: Antraten Spieß und Heidewitzka.
    |89| Traten mächtig Schwung in die Kähne mit gespanntem Rücken und gebeugtem Knie, mit dem Dreieck Schulter-Armbeuge-Haltegestänge, mit dem Körpergewicht und der Schwungkraft verlagerter Belastung. Aufschwung vorwärts – und unter tauchte der Platz, sackte unterm Kahnboden weg mit Lärm und Lichtern, schoß wieder herauf beim Abschwung, wich dem Aufschwung rückwärts nach vorn aus, ließ Heidewitzka waagerecht über sich hängen, Spieß mit den Füßen schon höher, kam dann heran und blieb unter den Knien weg, gab den Blick zum Kirchturm frei und schrägab zum Riesenrad, achtmal, neunmal, und bei zehn war Spieß oben, hatte den toten Punkt, fiel nun auf der Gegenseite ab, und hatte schon zwei Umdrehungen, als der andere die erste begann, und hatte elf, als der andere die neunte begann, und die Horde zählte laut und war vorbei, kam auf und versank, siebzehn, achtzehn, neunzehn, da nahm der Kahn den toten Punkt nicht mehr, blieb stehen, mit den Füßen zielte Spieß zum Sternbild Jungfrau, mit dem Stirnbein zum Erdmittelpunkt, blieb so eine Weile, und kam dann rücklings herunter mit dem Kahn, und auch Heidewitzka fiel ab, kam herunter bei achtzehn, und hatten beide den Rekord verfehlt, und der Schaukelbesitzer bremste.
    Der Platz schaukelte nach.
    Der Platz schaukelte noch, als Spieß ankam mit neunzehn Umdrehungen, persönlicher Bestleistung, das Radieschen wuchs gleich ein Stück. Heidewitzka aber hielt eine Rede.
    »Nämlich: das war erstens mal bloß Training. Zweitens: der Scheißkahn schlingert, von wegen dem Wind. Und drittens: machen wir eine Wette! Eine Flasche Wodka auf ex, dann zwei Mann in einen Kahn, dreißig Umdrehungen, Loose und ich!«
    Loose aber stand noch immer am Geländer, stand neben dem Mädchen Ingrid, er hatte Heidewitzka natürlich gehört, und er sah, wie die Horde gespannt herüberäugte. Ganz schöne Ruhe der Mann, dachte die Horde, ganz schön großkotzig. Steht da einfach bei seiner Bahnhofsschönheit und glotzt, |90| und macht das Maul nicht auf, und läßt uns warten. Er hatte noch immer ihre Hand in seinen Händen, ihre Hand, die kalt war und weiß und glatt, und er hatte ihr Haar vor sich und ihr Lächeln und auch den Hunger in den Augen. Ingrid, dachte er, das klingt nach Meer und nach Birkenwäldern, und das paßt nicht hierher. Und dann sagte er: »Hast du gewußt, daß ich hier bin?«
    Das Mädchen Ingrid lächelte und sagte: »Wo sollst du denn sonst sein?«
    »Ja«, sagte er. »Wo denn sonst.«
    Und ging hinüber zu den anderen.
    Die Horde hatte schon die Pullen gezückt. Loose trank zuerst, trank, ohne abzusetzen, gab dann die Flasche an Heidewitzka weiter, der stemmte seine zwei Quart und knallte die Pulle über die Buden weg waldwärts. »So«, sagte er dann. »Heidewitzka, Herr Kapitän! Komm in die Schaukel, Luise!«
    Aber nun hatte der Schaukelbesitzer Lunte gerochen. Er kam herüber, er schnupperte, und dann sagte er, mit so ’ner Latte im Bauch könne er keinen rauflassen, Heidewitzka schon gar nicht, der sei ja voll wie ein Stint. Und zwei Mann in einem Kahn, das sei sowieso verboten. Na, da machte sich der Mann aber beliebt.
    Die Horde machte Front. Er solle sich das noch mal überlegen, erklärte die Horde dem Luftschaukelbesitzer, andernfalls würden sie ihm den Laden auseinandermontieren, daß er seine helle Freude habe. Und die Leute sammelten sich rings und gafften. Und keiner rührte sich. Da überlegte der Luftschaukelbesitzer. Gab er nach und die Stenze fielen aus dem Kahn, dann saß er im Knast. Gab er nicht nach, dann machte die Bande Kleinholz aus seinem Laden. Da war nichts zu machen. Oder vielleicht war doch etwas zu machen. Wenn er einfach vorm Eingang

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