Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rund wie die Erde

Rund wie die Erde

Titel: Rund wie die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Demski
Vom Netzwerk:
vierblättriges Mariensiegel, querblühende Essigrose, haarige Pferdemelde, gestreifte Distelwinde. Das regt ihn an, er widerspricht: Ob es sich nicht vielleicht um die übelriechende Eselsmelde oder das Pharaonensiegel handle? Nicht nur, daß die Distelwinde ihm zu wenig gestreift erschiene, auch die Essigrose lasse den säuerlichen Geruch vermissen und sei vielleicht doch die halbgefüllte Hundsrose – wir amüsieren uns hervorragend, während die Pflückerinnen im Kampf mit den Brombeerhecken eine Wunde nach der anderen davontragen. Kittys Mann ist zufrieden mit sich und mir.
    Wenn die Brombeeren eingebracht sind, ist der Sommer vorbei. Jeder weiß das, aber wir warten noch die Heidelbeeren ab, nach deren Verarbeitung die Küche neu geweißt werden muß. Warum streichen wir sie nicht eigentlich gleich lila? sagt Kitty. Die kugeligen Weiblein kommen zum letztenmal an die Tür, in kleinen Gefäßen bieten sie Preiselbeeren an, bitter, bitter schmeckt das Sommerende. Von der Bitternis braucht man nicht viel. Ein Liter Beeren wird verarbeitet und in ganz
kleine Gläser gefüllt, in den Rumtopf dürfen sie nicht und in eine Bowle schon gar nicht. Aus denen könnte nicht einmal der Battist Schnaps machen wollen, sagt Kitty und weint.
    Er ist tot, der kleine Bruder. Ganz plötzlich. Die rheinhessischen und die bayrischen Mädchen trauern. Kommt er nie mehr, frage ich. Ich frage, weil ich den Tränen der Großen nicht glauben kann.
    Nein, nie mehr, sagt Kitty. Bitter, bitter schmeckt das Sommerende.
    Du mußt den Bohnen ein Zweiglein zeigen –
    Das bringt sie zum Schweigen!
    Nur eine Prise Bohnenkraut
    Und sie sind nicht mehr laut.

Die Frankfurter Kleinmarkthalle
    Manchmal sieht man die falschen Menschen in der Kleinmarkthalle. Sie wirken unkundig, mürrisch, sie verlangen Äpfel oder Tomaten, ohne der Gattung das Spezifische hinzuzufügen: den Namen. Zurück von der Gattung zum Individuum. Was denn gekocht werden solle, erkundigt sich die Gemüsefürstin, denn die gut eingeführte Kundin hat überreife Kirschtomaten verlangt, unbedingt die kanarischen.
    So macht man das hier. Das kann aber nicht jeder. Die falschen Menschen drücken sich an den nahrhaften Aufbauten vorbei, an Salatkathedralen, Käsedomen und Nudelparks, vielleicht haben sie ja einfach Hunger. Man muß sich nicht um sie sorgen, »ein Viertel heiße Fleischwurst« kann jeder bestellen, ganz ohne Philosophie. Nur wegen Hunger sollte man aber nicht hierher kommen. Es geht um Dekadenz, wobei die hier niemand so nennt. Und um Erbarmen. Erbarmen mit den armen, gleichgemachten Gewächsen und Getieren, die wir verschlingen jahraus, jahrein. Hier wird der Gurke die Würde zurückgegeben, dem Huhn und dem Pilz auch. Huhn, Pilz und Gurke werden erwählt, sind endlich wieder bei sich angekommen.
    Â»Lasse se misch in Ruh mit dere Vooochelgripp!«, und die Sprecherin, etwa siebzig, füllig und in lebhaftes Rot gekleidet, sucht ein Brathuhn aus. »Net des! Des da hinne!«
    Der Krümmungsgrad der Gurke wird erörtert, nicht irgendeiner, sondern genau dieser Gurke, ebenso die Bräunlichkeit des Champignonhuts sowie dessen Aufnahmefähigkeit für eine Kräuterfarce.
    In der Kleinmarkthalle darf sich unser Essen endlich wieder ernst genommen fühlen. Es steht im Mittelpunkt, man ordnet sich ihm unter, und auch die Ästhetik liegt allein bei ihm. Die Halle ist nämlich nicht schön, eigentlich ist sie gar nicht sichtbar hinter, unter und über dem, was sie anbietet. Das gibt ihr etwas Orientalisches, der deutschen Liebe zum Aseptischen Widersprechendes, weswegen man sich hier aussuchen darf, wie man sich fühlt: luxuriös oder bodenständig.
    Früher war das Einkaufen Sache der Dienstboten, und keiner Dame wäre in den Sinn gekommen, öffentlich an Käse zu riechen oder in Avocados zu kneifen. Vielleicht verirrt sich gelegentlich noch eine Minna oder Frieda hierher, aber in der Mehrzahl dürfen nun die Damen und Herren des Hauses nach gutem Essen fühlen, schnüffeln und tasten. Es geht demokratisch zu, was nicht heißt, daß der ungerührte Blick beim Bezahlen allen gegeben ist. Man kann hier ohne Mühe, mit leichter Hand, an einem Nachmittag ein Beamtensalär loswerden, wenn man die richtigen Weine auswählt und bei den Vorspeisen nicht knausert. Ein Häppchen Dekadenz hin und wieder tut gut, das sollte man

Weitere Kostenlose Bücher